Donnerstag, 29. Mai 2014

Auf der Suche nach meinem poetischen Ich

In den letzten Monaten sichte ich und sichte ich meine „Papiere“. Früher waren es Papiere, jetzt sind es natürlich Archive digitaler Dokumente in Verzeichnissen und Unterverzeichnissen mehr schlecht als recht geordnet.
Dabei ist einiges zusammengefasst in Form von Sammlungen mit provisorischen Buchtiteln. Eine Beinahe-Veröffentlichung ist auch dabei.

Leben und Schreiben – das sind bei mir zwei Tätigkeiten, die immer parallel laufen, doch nie harmonisch – keine mag die andere, jede braucht die andere, möglicherweise handelt es sich um eine klassische Hassliebe. Sie haben beide ihr eigenes Tempo und niemals das Gleiche. Mal ist das Leben dem Schreiben voraus, mal habe ich wieder etwas geschrieben, was noch gar nicht an der Zeit ist. Laufen sie beide synchron, was zum Glück sehr selten der Fall ist, dann ist es ein unglaublich langweiliger Zustand – das Leben wird fast problemlos zum Wort und jedes Wort, das mir einfällt, kann gelebt werden. Viele Menschen halten dies für die Definition des Glücks – es ist nicht mein Glück. Neugierig sein, neugierig bleiben und eine Sehnsucht nach dem Unbekannten pflegen und dies unstillbare Verlangen bei sich hüten, wie einen Schatz, den niemand stehlen kann – das gehört eher zu meinem Glück.

Im Grunde könnte ein Pedant einwenden, aber Leben sei keine freiwillige Tätigkeit und damit im Grunde gar keine Tätigkeit, die sich als Tätigkeit ja erst dadurch von allem Geschehen unterscheidet, indem man diese aus freiem Willen sich aussucht und wer ist schon aus freiem Willen am Leben? Und ein anderer Pedant könnte ebenfalls einwenden, dass Schreiben und sich Bezeugen im Grunde auch keine Tätigkeit ist, sondern eine Erzeugung von Zeichen, so wie überall in der Natur Formen und Strukturen entstehen, die aus mehr oder weniger komplexen Mustern bestehen, so auch alles Geschriebene, also auch dies keine ausgesuchte, frei gewählte Tätigkeit ist. Als Drittes kommt jemand hinzu und sprengt willkürlich die Runde mit den Worten: euer unbewusstes Gefasel über die Natur der Freiheit widert mich an – handelt oder schweigt! Es könnte ein Nachfahre des jungen Goethe sein, der seine ersten literarischen Weihen in der Zeit empfing, die man später die Zeit des „Sturm und Drang“ nannte.

Die Sprache meiner Epoche ist die des Sturm und Drang – nie war die Deutsche Sprache stärker, frischer, schöner – bei Heine wird sie bereits ironisch gebrochen, zeigt Alterserscheinungen – natürlich auch Reife – Heine, Nietzsche, Rilke haben sie unendlich verfeinert. Ich mochte jedoch diese spätere Einbuße an Kraft und wenn man so will die Einbuße am Idealismus aus Inhalt und Form nicht mehr hinnehmen und so kehre ich in meiner Poesie immer wieder zum Stil des Sturm und Drang zurück, wie zu einem Brunnen, aus dem ich stets erneuert wieder hervortrete.

Im Lichte dessen, so deute ich das bisher gesagte, erscheinen mir die Probleme, die ich mit vielen meiner bisherigen, vor allem älteren Gedichten habe – sie mal besonders gut, dann wieder besonders schlecht zu finden – der Tatsache geschuldet sind, dass ich im Urteil über mich schwanke. Ist Erinnerung nicht ein permanentes zu-Gericht-Sitzen über sich selbst? Es ist jedenfalls eine wahre Mühsal sich mal frei zu sprechen und dann doch wieder für schuldig zu erklären.

Diese Last endlich abzulegen ist der Grund dieser Vorrede und eine wahre Wohltat. Das Urteil ist ein für alle Mal gefällt: es sind Jugenddichtungen, die stilistisch selbst unentschieden sind, noch schwanken, jedoch ihre poetische Begründung haben, also werde ich einige davon hier präsentieren. Und damit jedermann weiß welche Lebensspanne diese meine „Jugend“ betrifft, so sei hiermit gesagt, dass ich zwischen dem zwanzigsten und fünfunddreißigsten Lebensjahr als Jugendlicher gedichtet habe – davor habe ich bloß Wissen erworben, die Sprache vor allem gelernt und geübt.


AN DIE BILDUNGSGLÄUBIGEN

Gefräßige Klarheit des Gedankens,
Wie schneidest du in unser schwaches Fleisch
Und ohne Gnade tief unter der Haut,
Die Wahrheit blutend zerrst ans Licht,
Wo sie, die Schattenhafte, nicht leben kann.

Und ohne Furcht siehst du dem Sterben zu,
Das die Vernunft dem Leben schenkt,
Als würde sie ihm Ewigkeit versprechen
Im Leichentuch einer Erkenntnis.


KOSTBARKEIT

Das Licht vertreibt nicht das Dunkle.
Was namenlos, verborgen in uns ruht,
Das kapselt sich ein, wird tiefer vergraben,
Vom Licht gejagt, wie scheues Wild
Flüchtet es in immer dunklere Wälder.
Und immer dichter wird das Gestrüpp,
Und immer ungangbarer der Weg,
Doch weiter gejagt und beinah zerdrückt,
Gehärtet vom Licht in der größten Stille,
Strahlt es wie ein Diamant in der Einsamkeit.


DUMMHEIT

Wie eine Welle erfasst die Dummheit die Menschen.
Sie hebt sie in die Höhe und reißt sie in die Tiefe.
Sie vernebelt ihre Gehirne mit Riten und Schwüren
Und schickt sie lächelnd und glücklich in den Abgrund,
Und so im Sturz ihres ausgehöhlten Lebens
Ahnen sie nichts vom eigenen Verlöschen,
Das dunkler bleibt als eine sternenlose Nacht.


LIEBENDE SEELE!

Die Lebensgeister alle aufgeschreckt!
Rasende Stürme meines Blutes!
Pochendes Herz, die Angst auf meiner Stirn geschrieben!
Und alle Glieder zitternd vor Ungeduld!
Als wollte alles in mir zum Sprung ansetzen –
Zum weitesten Sprung, so weit und schnell,
Dass ich aus der Sonne Licht
Und dem Schatten selbst entfliehen wollte!

Dein Blick betäubend! –
Aus vollem Lauf und ausgestreckt –
Die Krallen einer Pantherin,
Die in weiches Fleisch gekrallt,
Leidvolle Tränen warmer Sehnsucht fließen lässt
Und den durstigen Boden mit Liebesqualen tränkt!

Der Fluss der Zeit gerät ins Stocken.
Die Stunde und der Tag – sie gehen nicht!
Zu kostbar ist ein einziger Augenblick!
Und voller Pathos, voller Agonie
Kreuzen sich unsere Blicke machtvoll,
Wie die blanken Klingen von Schwertern!

Dich nicht zu sehen, dein Anlitz zu entbehren,
Wäre verbrecherisch, so sagt mir mein Verstand,
Doch nicht nur er, der ungestüme Sprecher –
Das ganze Leben ruft mir deinen Namen!

Als hätt’ Odysseus seinen Weg am Ende doch verloren!
So dich zu missen, dich zu verleugnen wäre:
eine grauenvolle Tat, die zu benennen Worte fehlen
– ein zweiter Sündenfall durch unsere Schuld!


AM HORIZONT

Auch die Natur und die, die sich natürlich finden,
Machen auf mich den Eindruck von Mimen,
Die mehr schlecht als Recht, wie Hülsenfrüchte,
Ausgetrocknet und eingepackt, verstaut im Regal
Warten, dass jemand sie kauft und aufkocht.

Am Horizont der Natur herrscht eine Kraft,
Die jedes Auge blendet, jeden Laut verschlingt,
Den stolz-gestreckten Hals zerbricht,
Den prächtigsten Wald verbrennt
Und höchste Berge zu Staub zerfallen lässt.

Unter diesem Horizont gibt es nur eitle,
Von Angst zerfressene und aus ihr Lebende –
Geschöpfe, die leben wollen und sterben müssen!
Geschöpfe, die genießen wollen und leiden müssen!

Unter diesem Horizont begrüßen sich all jene,
Die ihre Existenz nur leihen und jammervoll
Und ohne Lohn und Hoffnung wieder abgeben.


RUSSLAND

Wertvolle Seelen mit wertlosen Körpern
Furchtvolle Wurzeln der Nostalgie
Unter dem strengen Blick der Geschichte
Tastet deine zitternde Hand der Zukunft entgegen!

Menschen in Schmerz und Geist vollendet
Ihr legt euch selbst in die Teller
Und mit einem Wässerchen spült ihr
Die grausame Mahlzeit hinunter!

Die Stolzen und Freien – ihr liebt sie, ihr tötet sie.
An ihren Gräbern beweint ihr mit schönen Versen
Die Helden des Mütterchen Russland, die allesamt
Im Tode all das euch schenken, was ihr nicht habt.

Weit ist das Land, doch blickt in die Enge
Voll Zorn und Gier das Volk mit unstillbarem Durst
So kämpft es mit Lügen gegen den sonnigen Blick
Und umarmt die Dunkelheit wie eine Geliebte.


DITHYRAMBUS

Gib nicht dem Wein die Schuld,
Dass du dem Rausch in dir
Nicht treulicher kannst dienen
Als durch den Saft der Traube.

Gib nicht dem Mensch die Schuld,
Dass du die Freude in dir
Nicht unbeschwert entfachst
Als durch die List der Musen.

Die hohle Nuss, die Kopf du nennst
Wird jauchzen und frohlocken
Weil du den allzu schweren Geist
Bald lallend lachend fortgejagt!

Füll nur dein Glas randvoll und trink
Und jeder sei dir Bruder, Schwester
Und trink schnell aus und fülle ein
Bis Freund du unter Freunden bist!

Nun sieh dir an den wahren Gott,
Der dich aus allen Augen sieht,
Der zu dir spricht mit allen Stimmen
Und lebt, um deinen Durst zu stillen!

KUSS

Wenn sich ein Spalt in den Wolken öffnet
Und das Licht bricht durch.
Wenn sich die Erde mit dem Himmel vereint,
Wie die Lippen mit Zungen aus Gold.
Wenn ein feuchter Wind mit Kälte und Wärme
Seinen wilden Tanz entfacht,
Der enge Raum die Erde in sich schließt,
Und die Wogen des Meeres und alle Kräfte der Natur
In einem Strom zusammenfließen –
Küsse ich dich!

Wenn Sonne und Mond gleichzeitig am Himmel steh’ n
Und die Welt aufhört sich zu drehen.
Wenn Tag und Nacht sich heimlich treffen,
Wie wenn die Zeit aufhört zu sein.
Wenn du und ich gemeinsam trinken
Aus unserer Körper eignen Bechern
Und Herz auf Herz im selben Takt,
Der Schlag auf Schlag in uns ertönt,
Ein Lied von dir und mir uns singen –
Küsse ich dich!

Wenn alle Worte falsch, Gedanken Lügen sind
Und frisches Leben ungeteilt entsteht.
Wenn alle Wege eins, glühende Wangen Bäuche sind,
Wie wenn das Fieber durch sie brennt!
Wenn nichts mehr trennt, kein Leben und kein Tod
Und keine Lunge Luft, kein Auge Licht mehr braucht,
Die Sinne jeden Augenblick ganz neu entsteh’ n
Vergangnes lebt, Zukünftiges rast herbei,
Den Samen aller Dinge in weiche Erde tief zu senken –
Küsse ich dich!

Und zuletzt bringe ich meine Version der Shades of Grey - nur poetisch und philosophisch, aber Poesie in deutscher Sprache, wie sie vielleicht heute möglich ist oder sollte ich sagen "möglich sein sollte"...
Darin deutet sich bereits ein Übergang an. Wenn ich auch betonen muss, dass ich heute ganz anders klinge.

Vor Jahren als ich in der ostwestfälischen Provinz gestrandet war, wie ein junger unerfahrener Walfisch, da geriet ich auf Gedeih und Verderb in die Abhängigkeit des Internets. Das ging sogar soweit, dass ich im Internet live zu dichten begann und aus diesem Stream entstand in seinem Kern in wenigen Minuten folgendes Gedicht, das meinen inneren Aufruhr über die kollektive Vernetzung, die täglichen Lawinen des Wahnsinns und Blödsinns mit mehr als deutlichen Worten zum Ausdruck bringt:


DER TÖDLICHE STRANG
(Stimme aus dem Schatten)

Eingezwängt in endlose Reihen
Von Ahnen und universellen Bahnen.
Strich für Strich, Zug um Zug –
Silbrig glänzen die geschmiedeten Fesseln,
Fröhlich blöken die Kälber der Kultur!

Gift will ich sein und Stachel,
Brennende Seelenqual des Geistes
Einer verblassenden Zivilisation,
Die jedes Bild und jeden Ton
Tiefer schreibt und tiefer brennt
In unser geschundenes Fleisch!

Du duckst dich und was du denkst
Ist schuld daran, dass unser Himmel
Tiefer hängt als manche Decke
In unseren urbanen Käfigen,
Die wir Wohnungen nennen –
Wir Termiten des Humanen!

Manche Menschen glauben und dichten,
Um die verhängnisvolle Gemeinschaft
Von Wiederkäuern, die sie sind –
Auch noch zu bestätigen!

Manche aber – sie dichten,
Um nicht den zu töten, den sie hassen,
Um dem Himmel sein Blau zu schenken,
Und dem Abendrot sein leuchtendes Rot,
Um das Leben Stück für Stück
Herauszuzerren aus diesem Massengrab!

Eitel kriecht und gräbt der Maulwurf,
Gierig frisst er sich durch die Fäulnis der Erde.
Und während er glaubt Maulwurf zu sein,
Ist es ein Mensch, der liest, der hört, der sieht
Bücher wie Daten frisst, Gedanken verschlingt,
Blind geboren, mit leeren Augenhöhlen
Auf denen alte geronnene Farben kleben
– so scheidet er aus in der Dunkelheit!

Zerknitterte Seele – du solltest noch ein Lied
Erfinden, das den Staub, den letzten Flug –
Eines Gedankens, der einst so schön, so mutig war
Wie einen Schmetterling einfängt – und leben lässt!

Trink noch einen Schluck, damit du dem Tod
Noch einen Rausch als Abschiedsgruß
Auf die zerrissenen und blutigen Fersen wirfst,
Wie ein Wolf sich wirft auf das lahme Wild,
Wie ein Hai sich in die Rippe verbeißt,
Wie ein Weib sich wirft auf den Mann!

Diese Worte um mich, um euch, um uns!
Fade und blass, abgelegte Kleidungsstücke
Fremder Seelen, die sich nie begreifen konnten
Und nun zu Simulationen, Zerrbildern
In den Deponien unserer Zivilisation wurden!

Nichts ist so süß und verführerisch wie Du!
Ich sehe das wilde Flackern des Abgrunds in deinem Auge!
Das Leben ist der Bankrott der Existenz.
Und wenn wir uns gleich der Liebe hingeben,
Dann singen wir mit schmerzverzerrten Lippen
Mit Bissen und Flüchen bedecken unsere Körper,
Durchdringen uns mit den Bajonetten der Leidenschaft!

Doch diese Zeit, diese Komödie – sie sieht nicht,
Wenn Mordlust den Clown befällt und Dummheit
Sich in prächtige Gewänder hüllt!

Aber selbst wenn die Wahrheit zu uns käme
Nackt und verführerisch, duftend nach Rosen,
Mit ihren Blütenkelchen voll süßem Nektar,
Mein grausamer Bruder – wir sollten sie warnen,
Du und ich, obwohl wir uns hassen – wir beide –
Würden sie für das Geringste opfern - aus Gefälligkeit.

Bleiern, brodelnd, Licht-würgend zieht der Schatten
Um die Friedhöfe des Lichts seine eisigen Bahnen!
Über den Meeren schwarzen Wassers dröhnt
– ein schwebender Maschinengesang!
So werfe ich dies Gesicht,
Das nicht mehr meins ist,
In ein tausendjähriges Nichts!

Nun zum Glück dauerte dieses Nichts nur sieben und nicht tausend Jahre und war durchaus keine Vakuole voller Ereignislosigkeit. Dieser Landstrich half mir meinen Blick zu schärfen über jedes nur erdenkliche oder sollte ich nicht ehrlicherweise sagen "anständige" Maß hinaus?

EPIKUR und die moderne Kosmologie. Seine Schriften sind elegant formuliert und intellektuell anspruchsvoll - dies macht wissbegierigen Menschen Freude - nur soviel zur Harmlosigkeit deutscher Buchtitel...







Alle drei abgebildeten Bücher gibt es bei Amazon zu erwerben - die "Philosophie des Glücks" sogar die Gesamtausgabe in einer e-Book Kindle-Edition. Das Buch von D. Laertius enthält Epikurs naturphilosophischen "Brief an Herodotos" in voller Länge. Diogenes Laertius - Von dem Leben und den Meinungen berühmter Philosophen (Kindle Edition), darin 10es Buch.

Randnotiz zu Epikur
(Nachtrag vom Ende der 90er Jahre - aus meinen Jugendlektüren)

¨Lob Epicur´s. Die Weisheit ist um keinen Schritt über Epikur hinausgekommen - und oftmals viele tausend Schritt hinter ihn zurück.¨
Friedrich Nietzsche, Nachgelassene Fragmente, Ende 1876 - Sommer 1877, 23(56)

Seit einigen Jahren lässt sich eine gewisse Bücherschwemme in der kosmologischen Literatur beobachten. Darunter sind Bücher von Stephen Hawkings, Harald Lesch und vielen anderen literarisch-tätigen Naturwissenschaftlern zu finden. Sie erwähnen pflichtschuldig alle Demokrit (460 - frühes 4Jh.v.u.Z.) und seine ihm zugeschriebene Idee des Atomismus, der Vorstellung von unteilbaren Teilchen als Grundbestandteilen aus denen alle Stoffe im Universum zusammengesetzt sind.

So weit so unvollständig. Da war ja noch etwas mehr als Demokrit. Epikur zum Beispiel. Dieser lebte 341 bis 270 v.u.Z.. und erweiterte den Atomismus des Demokrit entscheidend und ich würde mir mit dieser Randnotiz hier nicht Mühe machen, wenn nicht viele der Vorstellungen Epikurs an die Quantenmechanik oder die Relativitätstheorie des letzten Jahrhunderts erinnern würden, in der aktuellen kosmologischen Literatur aber so gut wie gänzlich unerwähnt blieben*.

Im folgenden zitiere ich aus dem Buch Epikur, ¨Philosophie der Freude¨ (Alfred Kröner Verlag Stuttgart, 1973). Dabei stelle ich den Zitaten, die Postulate der modernen Physik zur Seite, die mir am ehesten zu passen scheinen. Dabei möge jeder für sich und je nach Grad der eigenen naturwissenschaftlichen Kenntnisse beurteilen, inwiefern hier von echten Parallelen gesprochen werden kann, oder ob es sich dabei um Fehldeutungen meinerseits handelt.

¨Brief an Herodotos¨ S.75ff
(Ja - es gab eine Zeit, da war Philosophie so wichtig, dass man sich Briefe zu diesem Thema schrieb.)

¨Vor allem ... muß man sich einprägen, was den Bezeichnungen, die wir gebrauchen, zugrunde liegt, um alles Vermutete, Umstrittene oder Bezweifelte darauf zurückzuführen und daran nachprüfen zu können, sonst gerät durch uferlose Erklärungen alles in Verwirrung und wir führen nur leere Worte im Munde.¨

Vielleicht ist das auch als Seitenhieb auf den Platon-Schüler und Großsystematiker Aristoteles und dessen allzu großen Willen aus einzelnen Erkenntnissen ein Gebäude des Wissens zu errichten gemeint. Aber ist Erkenntnis ein festes Gebäude? Kann sie es sein, wenn sie doch nur erzielt wird durch beständige Prüfung an der Erfahrung und an allem Veränderlichen der Natur um uns? Ist es nicht eher ein Gebäude, das sich immer wieder errichtet, umgestürzt, umgebaut und neu errichtet wird? Und diese Metapher des Gebäudes, die nicht unbedingt eine Metapher von Aristoteles ist, aber als Metapher betrachtet und geprüft fragen wie diese nach sich zieht: dient Erkenntnis nur Gegenständen, "Gebäuden" aus der Sphäre des Wohnlichen und Bewohnbaren? Können und dürfen wir nur Bewohnbares erkennen? Ist unser ganzer Erkenntnisapparat nur dazu fähig? Ist auch die Kosmologie eine eingeschränkte und unsere Spezies allein betreffende Philosophie des erweiterten Interrieurs? (Diese eingeschobenen Fragen führen hier jedoch zu weit.) Epikurs Auffassung weist uns an sich schon weit genug in die Zukunft zu Galilei, zu dessen wissenschaftlichen Geboten von Nachprüfbarkeit und begrifflicher Klarheit: ¨Messen, was messbar ist, messbar machen, was noch nicht messbar ist.¨ Dies gilt sowohl für technische Apparaturen, wie für die zur Erklärung verwendete Sprache. Messapparatur wie Sprache muss auf nachprüfbaren Ergebnissen gründen. Frei nach Epikur zurückführbar und nachprüfbar sein - sonst ist das Ergebnis ¨Verwirrung¨ oder schlicht ohne Bedeutung.

Postulat von der kaum vorhandenen Stofflichkeit, Materialität des Lichts - Epikur sagt dazu ¨Zartheit¨.

Hier wird nicht in einfältiger Subjektivität von den Wirkungen des Lichts auf Gefühle geredet, sondern konkret von dessen Beschaffenheit und Materialität. Dies ist wichtig zu erwähnen, um das übliche Verfahren ein für allemal zu unterbinden und zu unterbrechen, das aus Epikur einen gute-Laune Philosophen machen will. Das heisst natürlich nicht, dass er nicht ein gute-Laune Philosoph war - nur ich vermute, die meisten, die sich zu ihm gut gelaunt gesellen, hätten bald Probleme seinen geistigen Launen zu folgen und bald keine so gute Laune mehr. Also nochmal: Licht ist ein Stoff, dessen Gewicht wesentlich leichter ist als andere Stoffe - Epikur sagt nicht nur "Zartheit", sondern wie wir gleich sehen werden "unüberbietbare" Zartheit, also extreme Leichtigkeit (die Gefühligen unter uns bitte ich an dieser Stelle nicht gleich an Berührung zu denken) - heute weisen wir dem Licht außer Wellen- auch Materieeigenschaften zu - geben ihm jedoch die Masse 0.

Epikur: ¨Ferner - es gibt Abdrücke, die den festen Körpern gleichgestaltet sind, jedoch durch ihre Zartheit weit verschieden von den Dingen, die durch sie wahrnehmbar werden. ... Diese Ausformungen nennen wir Abbildchen (Eidola).¨

Postulat der Lichtgeschwindigkeit als Konstante, wie sie die Relativitätstheorie auch formuliert.

Epikur: ¨Ihr Flug durch das Leere durchmißt, wenn ihm nichts entgegentritt, an das er anprallen könnte, jede erdenkliche Entfernung in unvorstellbar kurzer Zeit, und was uns an ihm wie Verlangsamung oder Beschleunigung erscheint, ist in Wirklichkeit nur das Vorhandensein oder Fehlen eines Hindernisses.¨

Zuletzt konnte man von Experimenten hören, in denen es gelungen sei, Lichtwellen bis auf wenige Meter pro Sekunde abzubremsen. Auch dies scheint in diesen Sätzen faszinierenderweise enthalten zu sein.

Postulat der Lichtgeschwindigkeit als der größtmöglichen Geschwindigkeit im Kosmos.
Epikur: ¨Sodann - dem Gedanken, daß die Abbilder von unueberbietbarer Zartheit sind, widerspricht in der Erscheinungswelt nichts. Deshalb auch ist ihre Geschwindigkeit unüberbietbar, da jedes den für es passenden Durchgang hat, ...¨

Ebenso der Ansatz des Postulates, dass elektromagnetische Felder, die bewegliche Elektronen, in den Synapsen unserer Gehirnwindungen erzeugen (Elektronen haben Masse, sind langsamer als Lichtquanten, erzeugen aber ein elektromagnetisches Feld, das sich mit Lichtgeschwindigkeit ausbreitet...) etwas mit diesen Eidola und ihrer Geschwindigkeit gemeinsam haben.

Epikur:: ¨Auch ist zu sagen, dass die Abbilder in Gedankenschnelle entstehen. Der Strom von der Oberfläche der Körper her ist nämlich ein unaufhörlicher, auch wenn er wegen seiner ständigen Wiedernachfüllung keine ins Auge springende Kenntlichkeit besitzt.¨

Es gibt auch heute wenige Literaten unter den Naturwissenschaftlern, die ein elektromagnetisches Feld so plausibel beschreiben könnten.

Korrigierend und die ansetzende Euphorie etwas dämpfend muss man feststellen, dass Epikur die Eidola nicht für Strahlen hielt, sondern für äußerst zarte materielle Gebilde, also mit einiger Flexibilität in der Übertragung von Bedeutung für Gebilde, die gleichsam mit einem hermeneutischen Rückfallzieher formuliert den materiellen Charakter des Lichts ausmachten. So können diese Eidola überhaupt in unserem Auge oder Geiste einen ¨Abdruck¨ der äußeren Welt und ihrer Gegenstände erzeugen. Das Licht als elektromagnetische Welle, als Lichtstrahl vergleichbare Wirkungen durch Übertragung von Energie haben könnte lag wohl außerhalb des Denkbaren für die damalige Zeit.

Epikur (S.85): ¨Die Außendinge selbst können ihre Wesenheit in Gestalt und Farbe nicht ... durch die ... Luft ... (und) auch nicht vermittelst irgendwelcher Strahlen ... wohl aber (als) gewisse gleichfarbige und gleichgestaltige Abdrücke...¨ auf uns übertragen.

(Was er unter "Strahlen" versteht erfahren wir leider nicht.)

Die Abbildung der äußeren Welt im Inneren des Menschen erschien stets als materielle Vorstellung eines ¨Abdrucks¨, dessen Bewegung freilich unfassbar schnell sein müsste, dessen Materialität entsprechend unfassbar "zart". Doch gerade wegen dieser unmythologischen, wisseschaflichen Einstellung alle Phänomene durch nachprüfbare und von jederman nachvollziehbare Erfahrungen zu beschreiben gelang es Epikur ein physikalisches Weltbild zu formulieren, das eine zusammenhängende Welt beschreibt, die unseren Sinnen kohärent erscheint, die auch unabhängig von jedem Bewußtsein ein Kontinuum darstellt. Eine Welt, aus der niemand fallen kann, kennt natürlich keinen Himmel und keine Hölle und ja nicht einmal den Tod.

Epikur: ¨Der Tod ist für uns ein Nichts, denn was der Auflösung verfiel, besitzt keine Empfindung mehr. Was aber keine Empfindung mehr hat, das kümmert uns nicht.¨ (S.51)

Es mutet an, um zu seinem Weltbild zurückzukehren, als würde er uns 2.000 Jahre vorauseilen und eine klassische Feldtheorie formulieren, wenn er auf S. 85 schreibt:

¨Die Abdrücke besitzen eine große Geschwindigkeit, sie sind es, die uns darum die Vorstellung von dem einen, zusammenhängenden Ding liefern und die Empfidung von dem ihnen zugrunde liegenden Gegenstand festhalten, entsprechend dem mit ihm übereinstimmenden Eindruck, der von dort her infolge der Atomenschwingung im Innern des festen Körpers hervorgerufen wird.¨

Hier will ich ein vorläufiges Ende dieser Randnotiz setzen. Mögen Berufenere als ich diesen Ansatz weiter verfolgen.


Post Scriptum:

Ich kann mich nicht enthalten diesen Hinweis denn doch zu geben. Vielleicht wirkt die Klarheit epikureischer Logik inspirierend auf diejenigen Naturwissenschaftler, die sich den Kopf über dunkle Materie, dunkle Energie und die Strukturelementne des ganzen Universums zerbrechen.

Epikur (S.80ff.): ¨Das All ist unendlich. Denn was begrenzt ist, hat ein Äußerstes, doch kann ein Äußerstes nur durch Vergleich mit etwas anderem wahrgenommen werden. (Neben dem All läßt sich aber nichts wahrnehmen.) Da das All also kein Äußerstes hat, hat es auch keine Grenze, und da es keine Grenze hat, so dürfte es wohl unendlich und unbegrenzt sein.

Das All ist sowohl nach der Menge des Körperlichen wie nach der Größe des Leeren unendlich. Denn angenommen, das Leere wäre unendlich, das Körperliche jedoch begrenzt

(Aufgepasst! Hier geht es um das Verhältnis der Größe des Raums, von uns aus gesehen eines auch ins Unendliche expandierenden Raums und der Menge der Masse, die entweder konstant oder nicht konstant und daher abnehmend oder zunehmend gedacht werden kann. Bei einer Äquivalenz aus Masse und Energie wäre das Postulat der dunklen Energie ein zusätzliches Postulat von einer unbenannten Masse, bzw. Materie neben der ohnehin unbefriedigenden ¨dunklen Materie¨, die erst Recht mehr Verwirrung als Klarheit über unsere Wahrnehmungen erzeugt und daher anzuzweifeln wäre),

dann würden die Körper nirgends verharren, sondern im unendlichen Leeren zerstreut umherfliegen, da sie nichts fänden, das sie stützen könnte oder das ihnen beim Abprallen Halt böte.¨

Hier befinden sich wie im Keime beginnende Ahnungen eines Begriffs der Gravitation, wenn von ¨stützen¨ die Rede ist und des Begriffs ¨Wechselwirkung¨ vgl. starke und schwache Wechselwirkung, da die Körper trotz des Abpralls beim Zusammenstoßen laut Epikur "Halt'' finden.

In heutiger Terminologie: positiv geladene Teilchen, sich eigentlich abstoßende Protonen, die durch die starke Kernkraft zusammengezogen werden. Ein Zusammenhalt trotz Zusammenstoß und Abprallen der Atome. Das formulieren Physiker heute sicherlich, präziser, geschickter und vor allem formalistischer, aber ich hoffe ich konnte andeuten, was gemeint ist.


*Eine (noch) nicht weiter beachtete Ausnahme bildet hierzu die meisterlich angefertigte Seminararbeit des Arne Traun (2010, Universität Wien), nachzulesen unter http://sammelpunkt.philo.at:8080/1918/
Sie trägt den Titel ¨Der epikureische Atomismus - Auf den Spuren der modernen Physik¨, der ich an Wissenschaftlichkeit und Systematik nicht nacheifern darf und deren Inhalt ich bis zu diesem Zeitpunkt nur überflogen habe, da meine Gedanken zu Epikur bereits seit Jahren eine einsame Existenz in diversen digitalen Speichermedien fristen. Ich verdanke diesem jungen Wissenschaftler jedoch eine starke Ermutigung, meine Auffassung zu Epikur wenigstens für wenige Freunde und Bekannte, die meinen Blog kennen, zu veröffentlichen.