Sonntag, 16. November 2014

LUCY - ein Film, der keine Zeit fand ein Meisterwerk zu werden


Lucy (Scarlett Johanson), so der Name einer relativ naiven, relativ braven, relativ netten Studentin, der es beschieden ist durch einen aufgeplatzten Drogenbeutel in ihrem Bauch im Laufe des Films sich in ein gottähnliches Wesen zu verwandeln. Zusammen mit einem Anthropologen (Morgan Freeman) beobachtet sie und damit auch das Publikum die anwachsende Leistungsfähigkeit ihres Gehirns, die in Prozent ab 10% bis zu 100%  von Kapitel zu Kapitel hochgerechnet wird und dies im Stil eines Leitmotivs, das sich durch alle Szenen zieht und so dem Ganzen trotz Rückblenden eine linear-progressive Struktur verleiht. Dabei sollten wir vereinfacht annehmen, die zunehmende Leistungsfähigkeit des Gehirns käme vom enormen Anstieg neuronaler Verschaltungen und dieser wäre ausgelöst von der Droge.

Dass solche Verschaltungen inhaltsleer bleiben müssten, wenn nicht zeitaufwendige Lernprozesse diese erst auslösten, ist eine Tatsache auf die das geneigte Publikum nicht allzu sehr beharren sollte. Nehmen wir den günstigsten Fall an, dass auch jeder Lernprozess durch die Droge fast unbegrenzt beschleunigt wird, so dass die wenigen Tage, die der Film beschreibt, tatsächlich für die Gottwerdung Lucys ausreichen.

Die Fabel von der wundersamen Zunahme der Intelligenz von Lucy lässt sich am besten als Allegorie für die Möglichkeiten menschlicher Entwicklung betrachten, die sich im Bild der Apotheose Lucys, ihrer bis zur Allmacht sich steigernder Kräfte versinnbildlicht. Man könnte fast meinen Besson sucht filmisch einen Weg säkulare Heiligenlegenden zu erschaffen, aber ist das nicht etwas, was seit geraumer Zeit nur im Film, mit dem Film und durch den Film noch möglich ist? Ich denke da an die Märtyrer-Legenden eines Rambo (Rambo), Fallon (Auf den Schwingen des Todes), Neo (Matrix) u.a.

Die Spezialeffekte und Action-Szenen fallen dadurch wohltuend auf, dass sie gut genug sind, um dem Film zu nützen, und gleichzeitig in einem Maße gewohnt, dass der Film nicht quasi auf Krücken mit ihnen zu gehen hat, sondern auch zu seiner Botschaft Zeit findet.

Im Wesentlichen haben wir es hier mit dem Versuch zu tun den Historismus des 19. Jahrhunderts in die Gegenwart zu übertragen. Die Gegenwart erzeugt historisches Bewusstsein im großen Stil, das heißt mit Massenwirkung über Dokumentationen im Fernsehen und mit Filmen zu historischen Stoffen im Kino. Wenn es sich um gutes mediales Material handelt, so enthält es zumeist eine plausible, die Bilder und Vorstellungen verbindende Erzählung. Luc Besson hat viele Dokumentationen gesehen - das wird an den viel zu langen Bildfolgen mit naturkundlichen Material deutlich. Darüber hat er leider - so scheint es - alle Lust verloren eine Geschichte zu erzählen. Aber nur durch die Geschichte, die Erzählung vermögen wir das Kontinuum - den Zeit, Raum und alle Dinge umspannenden Zusammenhang wahrzunehmen, zum Beispiel auch einen Film als Kunstwerk zu genießen. Hier wird eine gravierende Strukturschwäche des Films sowohl formal als auch thematisch sichtbar, was den Genuss leider deutlich stört.

Die Lucy von heute begegnet im Zuge der Zunahme ihrer Fähigkeiten der Lucy aus der Prähistorie der Menschheit und zitiert dabei ebenso symptomatisch wie peinlich Michelangelos Erschaffung Adams. Die Begegnungen mit allen möglichen Zitaten (und viele Szenen wirken nur wie Zitate und niemals echt!) aus der Natur- und Menschheitsgeschichte bleiben weit unter dem Niveau guter Dokumentationen. Bestenfalls sind es experimentelle Kollagen, die mehr Verlinkungen gleichen als dass sie für sich sprechen würden, aber wie könnten sie auch? Sie bekommen keine Spielzeit von Lucy, der Gottheit oder ist es doch Besson, den hier kreative Atemlosigkeit erfasst hat? Hat er den Film mit Wikipedias Hypertext und nur als Hypertext gemacht? Aber Hypertext ist kein Erzähler und keine Erzählung - es ist nur ein Rhyzom, ein Geflecht, das der Interpretation bedarf. Besson hat sich zu sehr beeilt. Sein universeller Film hätte deutlich mehr Zeit für Geschichte und Charaktere gebraucht. Hier teilt sich LUCY eine ähnliche Strukturschwäche wie der Film „Lola rennt“ von Tom Tykwer, dessen amerikanisches Original „Und ewig grüßt das Murmeltier“ zeigt, wie man es richtig macht…

Allzu häufig ersetzen Bildfolgen die Reflexion und wage Andeutungen die Narration. Symptomatisch fragt an einer fortgeschrittenen Stelle der Handlung der Polizist, der Lucy begleitet, seine Partnerin, ob er ihr überhaupt zu etwas nützlich sei. Sie daraufhin küsst ihn und sagt: "als Erinnerung". Womöglich ein Judaskuss der Fiktion über die Realität, die in diesem Film stiefmütterlich wie etwas kaum noch Existentes und eigentlich längst Vergangenes behandelt wird. Wie sollte auch ein Wesen, das sich anschickt Gott zu werden die Realität der kontextbezogenen, im Kontext gefangenen Wesen ernst nehmen können?

Doch auch diese Chance einer lachenden Gottheit hat Bessons Armut an erzählendem Geist vertan.

Der Film stellt zumindest einige richtige Fragen. Die wichtigste: was ist der entscheidende Faktor, der sowohl die biologische Evolution des Lebens als auch die physikalische Evolution des Universums grundlegend bestimmt? Antwort des Films: die Zeit.

Wer die Welt beeinflussen und wirklich gestalten will, der muss die Zeit vorwärts und rückwärts beherrschen. Wenn die Welt, die Summe aller Wechselwirkungen von Energie und Materie ist und jemand durch Kontrolle der Zeit auf alles wirken kann, dann ist dieser Jemand ein allmächtiges, allgegenwärtiges, allumfassendes Wesen - ein Gott. Strebt die Menschheit mit ihrem Potential auf diesen Zustand zu und gehört Lucy nur zur Vorhut? Sind wir Menschen nicht längst (frei nach Hegel) der Weltgeist, der sich durch die Menschheit erkennt und immer deutlicher erkennt, indem er durch uns auf alles wirkt?

Besson hat Lucy, diesen Film gemacht. Seine Grundidee ist sehr gut - die Umsetzung eher mangelhaft. Lucy ist ein Film, der keine Zeit fand ein Meisterwerk zu werden und damit vielleicht der Realität auch und gerade in seinem Scheitern oder drücken wir es ästhetischer aus in seiner “Offenheit” ähnlicher ist und näher gekommen ist, als uns lieb sein kann.

Irgendetwas scheint Besson jedoch abgelenkt zu haben oder er ist bereits zu sehr ein Speed-Junkie geworden und schon längst kein Filmemacher in Europäischer Erzähltradition mehr? Was ist aber das Zelebrieren der reinen Geschwindigkeit, der reinen Zeitbeherrschung ohne das Interesse für die einzelnen Etappen der Transformation, ohne das Interesse für die evolutionären Schritte von Materie und Leben? Das ist die reine Dummheit in der Banalität von Anfang und Ende. Bessons Fehler bei allem handwerklichem Können ist nun, dass er diesen tollen Film zu kurz gemacht hat. Auch hier gibt es ein amerikanisches Gegenbeispiel, wie man es besser macht: „Interstellar“.

LUCY jedoch ist auch als misslungenes Meisterwerk sehr interessant und daher äußerst lehrreich und sehenswert! Möglicherweise ist dieser Film auch eine unfreiwillige, also indirekte Warnung an all jene, die das Heil im Rausch des absoluten Kicks suchen. Dort, im Topos des Kicks, der Kulmination ekstatischen Genusses an der Schwelle der Überreizung und höchsten Lebensgefahr wartet immer die Aufhebung aller Bezüge von Zeit und Raum - das Nichts.

Dieses Nichts ließe sich am besten als Nihilismus beschreiben von Menschen, die mit ihrem Leben nichts anzufangen wissen und in der emotionalen Verkleidung der Langeweile, sich in lebensmüden Aktionen mit Hilfe von Drogen oder Extremsportarten erschöpfen.

Den Vorwurf muss man ihm letztlich doch machen, dass Besson sich dessen schuldig gemacht hat, die Komödie menschlicher Dummheit oder die Dummheit alles Lebendigen sogar nicht deutlich genug dargestellt zu haben und insgesamt zu nett, zu brav, zu diszipliniert mit seiner Thematik umgegangen ist, indem er konventionelle Action-Szenen aneinanderreite.

Lucy mutiert gegen Ende zu einem Wesen, das höchstpersönlich die Verbindung von Orten durch die Zeit darstellt. Sie geht nirgendwo mehr hin – sie sitzt einfach und die Orte kommen zu ihr, werden durch sie verknüpft. Sie ist ein lebendiges Wesen und Zeitmaschine zugleich, ist eine Lebensform, die ihre Koordinaten in Zeit und Raum kontrollieren kann, womit natürlich auch das jeweils zeitgebundene Bewusstsein überwunden ist. Hat sie noch ein Bewusstsein? Der Film gibt die Antwort extrem knapp, extrem beiläufig in ihrem ersten und letzten Kuss zu ihrem Begleiter von der Polizei. Aus jeder Zeit bleiben ihr nur noch Erinnerungen, weil alles schon geschehen ist, wenn sie in jeder Zeit sein kann. Die Unendlichkeit ist ein Gefängnis für ein zeitbeherrschendes Wesen. Es steckt darin fest, weil es überall zu allen Zeiten schon war und an dies “überall” bis in alle Ewigkeit sich erinnert. Lucy ist ohne Übertreibung wie Prometheus am Felsen an ihr „überall“ gefesselt. Prometheus hinterlässt der Menschheit das Feuer - Lucy einen USB-Stick mit der Weltformel, das „absolute Wissen“ (Hegel), der totalen Information?

Die Erinnerungen selbst sind die Mauern dieses Gefängnisses. Ein solches Wesen entwickelt sich nicht mehr – die 100% Gehirnnutzung bedeuten in diesem Fall absolutes Ende jeglicher Entwicklung, vollständige und vollkommene Vernetzung von Raum und Zeit. Es existieren nur noch Erinnerungen an die Existenz, aber nicht mehr die Existenz selbst als offener Prozess ohne bekannten Abschluss, ohne Teleologie. Gott "lebt" aus seinen Erinnerungen als universeller Archivar allen Seins, was auch immer dies "Leben" dann noch sein könnte, wenn es überhaupt noch Leben ist. In diesem Bild eines gefährlichen Endes aller Entwicklung liegt das Bild des zukünftigen Menschen noch ungeboren, embryonal verborgen: der Mensch, der nirgendwo mehr hingeht, das Haus, den Stuhl kaum noch verlässt und die Welt übers Internet zu sich holt, dabei jedoch immer schwächer, lebensunfähiger wird, abhängiger von seinen Adaptern, Konnektoren, bis er zuletzt für all diese Maschinerie entbehrlich ist und klammheimlich seine Abschaltung weniger ins Gewicht fällt, als die Abschaltung seiner technologischen Peripherie. Hier kündigt sich eine Machtübernahme der Maschinen an, die nicht in einem dramatischen Akt der Machtergreifung stattfindet, sondern in einem für Heldenrollen denkbar ungeeigneten Prozess der zunehmenden Marginalisierung menschlicher Beteiligung an einer informationstechnologisch vernetzten Welt.

Aber die Konsequenzen sind weitaus schlimmer: wer zeitlich ungebunden und örtlich unbegrenzt ist, der kann sich selbst als Subjekt unmöglich definieren – er/sie ist nirgends und überall – „überall“ ist eine Antwort, die im Film gegeben wird. Aber der Film lässt keine Zeit zum Nachdenken und will es vielleicht auch nicht, kann es nicht – vielleicht ist das seine Ehrlichkeit und Konsequenz. Wer überall und nirgends ist, der macht keine Erfahrungen mehr. Nur zeitgebundene Wesen sind erkennbar – unsere nirgends und überall-Lucy ist für lokal-Begrenzte und Sterbliche gänzlich unsichtbar – so auch im Film. Sie löst sich auf. Hat sie jemals existiert? War sie nur ein Technotraum von Besson oder ein modischer Zeitmaschinentraum der Internetgeneration?

Lucy als These gesetzt, wie ein Mensch Gott werden kann, beweist so im Prozess des Films, dass Gottwerdung eher einer Auslöschung gleichkommt und liefert in den Stationen des Films sogar den Beweis dafür. Wer so zeitlich unbegrenzt und ungebunden ist wie Lucy, der muss nirgends wirklich sein und wer nirgendwo sein muss, der ist auch nicht, weil niemand freiwillig sein kann, weil die Existenz im Sein keine Veranstaltung von sich freiwillig Meldenden ist, weil alles, was ist, zu seinem Da-Sein gezwungen ist. Folglich existiert Lucy, die nirgendwo sein muss, auch nicht. Sie gehört, da offensichtlich, obwohl sie nicht existiert, doch von ihr die Rede ist, zu jenen filigranen Wesen, um nicht von Hirngespinsten zu reden, die auch in Serien wie „Star Trek, The Next Generation“ vorkommen, wie das ominöse Volk des Kontinuums der Q, das über allmächtige Kräfte verfügt, durch die Zeit reisen kann und ansonsten sich im Kontinuum so schrecklich langweilt, dass es abwechselnd entweder sadistische Spielchen mit Sterblichen treibt, sich sentimental in die Entwicklung der menschlichen Spezies verliebt oder den schönen Reden eines Captain Picard lauscht. Und warum?

Weil Moral in Unendlichkeit und Allmacht keinen Sinn ergibt, da alles ausprobiert werden kann ohne irgendwelche Konsequenzen befürchten zu müssen. Ebenso ist auch keine Notwendigkeit vorhanden etwas Konkretes zu einem konkreten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort zu tun – deshalb die Langeweile.
Aus diesen beiden Voraussetzungen gerät jegliches Handeln eines solchen Wesens zur willkürlichen, nicht nachvollziehbaren Tat. Um nicht Zufall und Unmoral zu sagen, spricht die Theologie an dieser Stelle von „unergründlichem Willen“. Im Ergebnis könnte es ein tödliches Spiel eines Gottes mit den Sterblichen sein, oder ist es nicht ganz einfach die Natur und ihre berühmten Launen?

In Lucys Gehirn löste die Droge eine beschleunigte Evolution aus, die dazu führte, dass sie den Traum der Menschheit alles zu erkennen zu Ende träumen durfte. Doch wie kann die Erkenntnis von allem dazu führen, dass der Tod als Preis am Ende der Entwicklung lauert? Lucy geht in die Ewigkeit ein, ist überall und nirgends und dies geht nur über den Tod ihres temporal und räumlich begrenzten Körpers. Am Ende verwandelt sich das Mädchen Lucy oder besser sie assimiliert amöbenhaft einen Serverraum, dessen Inhalt sie, nachdem Ihre Berechnungen abgeschlossen sind, bis auf einen USB-Stick verschwinden lässt. Der USB-Stick ist denkbar prosaisch ihr Vermächtnis an die Menschheit, ihre zehn Tafeln. Sie ist präsent, aber physisch nicht mehr lokalisierbar – theologisch gesprochen: omnipräsent. Man muss von nun an schon glauben, dass es sie gibt.

Besson hat damit eine Menge auch parodistischer Ansätze zu wahrer universeller Boshaftigkeit in mehreren Szenen gezeigt, vielleicht auch nicht oder vielleicht hat er sie verweigert, die, und das macht diesen Film doch in einer unerwarteten ästhetischen Wendung zum wahren Genuss: seine Vielleicht-Ästhetik, der hypothetische Raum, den er im Bewusstsein des irritierten Betrachters aufspannt.

Lucy erinnert und mahnt, uns nicht mit dem Erreichten zufrieden zu geben und vor der Evolution stets auf der Hut zu sein - sie könnte uns eines Tages, wie es dem Seiltänzer in Nietzsches „Also sprach Zarathustra“ bereits geschehen ist, überspringen und dann hilft uns kein Gott.

Und zuletzt – was will uns Lucy wirklich sagen? Ihre Antworten sind auf dem USB-Stick, aber können wir sie erraten – haben wir sie hier mit unseren Mutmaßungen und Anmaßungen vielleicht gegeben? Umreißen wir das Problem in den Worten Nietzsches aus „Jenseits von Gut und Böse“:

„Gesetzt wir wollen Wahrheit: warum nicht lieber Unwahrheit? Selbst Unwissenheit? – Das Problem vom Werte der Wahrheit trat vor uns hin – oder waren wirs, die vor das Problem hintraten? Wer von uns ist hier Ödipus? Wer Sphinx? Es ist ein Stelldichein, wie es scheint, von Fragen und Fragezeichen.“
(Erstes Hauptstück, Von den Vorurteilen der Philosophen, Abschnitt 1)

T.N.

Dienstag, 12. August 2014

Stralsund und Rügen Juli 2014

THE BLACK ALBUM - mit farbigem Nachwort



























Farbiges Nachwort









Dienstag, 29. Juli 2014

Sommerliche Impressionen Griechenland 2014

Words are not enough - later...












   


                 


  



Sonntag, 29. Juni 2014

KOSMOS - Aufbruch ins All, Poesie für den Weltraum



Aufbruch ins All

Unsere Rakete steht bereit.

Ihre Triebwerke krachen und dröhnen.
Wir haben uns für hohe Ziele gezündet.
Müde betrachten wir die alte Erde
Ein letztes Mal, eine letzte Umdrehung
Und dann stürzen wir hinaus ins All –
Leb wohl blauäugiger Planet!

Uns ging eine Welt verloren,
Als wir die Umlaufbahn verließen
Zum Fluge sind wir auserkoren
Doch nicht im dünnen Seidenkleid
Gehauchter Atmosphären

Gefiederte Genossen und Vögel aus Metall

Reminiszenzen sind‘s wie der Gesang der Nachtigall
Die ganze elende Geschichte -
Erschaffe neu und neu vernichte
Zerstoben sei‘s und ausgehaucht!

Den Erdkreis überlassen wir dem Papst
Doch legen wir ihm Fesseln an aus Wissen.
Soll sie nur schleppen Seiner Hölle-Last
Während wir im All unsere Fahne hissen

Den Verwaltern allen Kummers
Sei folgendes gesagt im Vers:
Gelitten wurde viel und wird noch werden
Geschmacklos ist es Macht auf Leid zu gründen
Drum hütet euch vor Menschen mit Geschmack!

Kopfüber springen wir zur Ewigkeit
Und werden Spiel der Wellen
Dort warten sie im Schlund der Zeit
Auf uns: die Tore fremder Welten!

(SINGULARITÄT)

Blind regiert die Galaxie
alle zerstreuten Massen
Schaut rückwärts in die Zeit
Ernährt von Sonnen

Gefeiert wird im Augenblick
zugleich Anfang und Ende
Die Quelle trinkt das Licht,
Macht alles kehrt und stumm.

Eine große Hand greift -
Sie schwärzt den Himmel
Ein großer Wille nimmt,
Was ihm nicht widersteht.

Das All – ein wilder Ozean,
Der an der Atmosphäre brandet.
Küste sind Erde und Mensch -
Ein Fischerboot im Sternenmeer!

Das Leben – ein Flüstern der Unendlichkeit.
Hört jemand sein Poltern und Klopfen?
Gegen den Cocon der Planetenhülle?
Wann wird es einst schlüpfen?
Das erste Sternenkind!


Liebe in Höhen

Das Licht der Sonne
Fällt auf dein Haar
Verwandelt es in Gold
Doch nicht Metall
Bist du Geliebte
Du bist
Ein rascher Pinselstrich
In den Farben der Erde
Mit dem Blau des Himmels
Getränkte Leinwand
Ein Duft und Wohlklang bist du
Wie eine Brise im Frühling

Du bist aus einem Stoff,
Der dies Schiff durchdringt
Durch aller Schichten Dichte
Und mühelos mir Kunde bringt
Von warmen Nachmittagen
Und singenden Vögeln im Park

Die Magnetosphäre schützt
Uns auch an diesem Morgen
Sind wir doch orbital umschlungen
Auf himmlischem Planetenbett
Was kümmern uns Ionenstürme!?
Die Liebe ist eine Fermate des Alls.


Der Engelssturz der Dionysos

Durch Ewigkeiten irrend und verlacht
In Erdenjahren unzählbar und fern
Taumelt der Engel von Stern zu Stern

Fortschritt durch Lust und Wandel durch Feuer
Vom Licht verfolgt als Ungeheuer
Gejagt bis ans Ende der Zeit

Die Anmut wurde ihm vom Leib gerissen
Die Zartheit im Hinterhalt zerbissen
Sein Geist ward dumpf und träg

Durch Sternenhaufen, Galaxienbändern
Auf der Planeten Ödnissen und Rändern
Geröll und Staub im fasrigen Blick

So flieht er ins Wüste, Leere und Kalte
Und dehnt das All und die Zeit, dia alte
Bis er allein nur übrig: verdampft!



Das Licht der Stadt erfüllte einst den Raum,
Der so den Sinnen neue Nahrung gab.
Das Land erschien nunmehr als Traum
Von fernsten Zeiten an.

Die Freunde konnten bald nicht folgen.
Sie blieben dort, wo kleine Gassen
Und große Wälder die Menschen
Ganz besonders wärmen…

Doch unser Licht am aktuellen Tage
Ist aller Sonnen und aller Welten Licht
Ein Licht, das mit der Nacht vermählt ist.
Und wo einst Nacht war und Schrecken
Ist jetzt nur Licht, nur Licht
und etwas Schatten!

Die Sonnen brennen von überall.
Sie fegen weg die dunkle Zeit.
- Mit sanftem Strahlungsdruck
Liebkost ihr Blick das All
Und nur noch Tölpel glauben
an zarte Finger…

Sonntag, 22. Juni 2014

... auf dem Weg zu einer Feldtheorie der Gesellschaft

     


Entweder es kommt etwas von der Rampe auf uns zu und springt uns gleichsam an oder wir sind schneller und wir erklimmen die Rampe und springen heraus aus unserem Garten, Park, heraus aus unserer Nische – hinein in den Kosmos!

Nachdem ich mich des leidigen Themas Griechenland mit viel Verwandlungsbrimborium entledigt habe, finde ich nun endlich die Muße für wirklich wichtige Fragestellungen. Wer oder was bestimmt, welches die richtigen „Verhältnisse“ für einen Menschen oder gar für ein Volk sind? Nach welchen Kriterien findet diese Bestimmung statt? Entscheidet letzten Endes alles die Physik im Bunde mit der Biochemie – die Strömungslehre mit der Koevolution von Natur und Kultur?

Dazu kann nur eine „Feldtheorie der Gesellschaft“ ansatzweise Antworten liefern. In Ihr kann es nicht anders sein, als dass Zoologie und Anthropologie, Ökologie und Ästhetik Paarbindungen eingehen, die den einzelnen Menschen, wie ganze Völker in ihren natürlichen Lebensräumen, ökologischen und kulturellen Nischen besser verstehen lernen.

Fortsetzung folgt…

"Rausch der Verwandlung" - die Auflösung eines Rätsels


Es ziehen Wolken auf, das Schiff befindet sich auf ¨hoher See¨ oder zumindest auf einem großen Wasser mit genügend Abstand zum Land. Die Farbe des Himmels gibt meine Stimmung wider: sie ist etwas metallisch, doch nicht kalt. Das Wasser und das Schaukeln des Bootes halten die Gedanken beweglich und bei Laune.

Mein Thema ist die Auflösung eines kleinen Rätsels, das ich, angeregt im Sommer 2013 von der Auslegeware meines Buchhändlers in Kavala (Küstenstadt in Nord-Griechenland), hier in den ¨Raum¨ gestellt habe als Allegorie zur aktuellen Situation zwischen Staats- und Finanzkrise in Griechenland. Damals sah ich Stefan Zweigs posthum veröffentlichten Roman ¨Rausch der Verwandlung¨ an exponierter Stelle im Schaufenster des Buchladens und dachte mir, was will mir mein Buchhändler außer das obligatorische ¨kauf und lies es!¨ sagen?


Die Sache verlangt nach einer kurzen Darstellung - das Land kommt näher und der Hunger lässt sich bald nicht ignorieren. Es bleibt uns nur Zeit für wenige Gedanken.


Stefan Zweig bezeichnete seinen nicht veröffentlichten Roman prosaisch als ¨Postfräuleingeschichte¨ - ein Wink, das er an der höheren Bedeutung dieses Werks zweifelte oder steckt mehr dahinter?


Die Geschichte, die im Buch erzählt wird, ist eine Geschichte eines gesellschaftlichen Aufstiegs einer jungen Postassistentin durch lügnerischen Betrug in den Adelskreisen Wiens. Dabei steigt sie ausgerechnet in eine gesellschaftliche Klasse in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts auf, die nach dem 1. Weltkrieg 1918 eigentlich untergegangen ist. Hierbei erweist sich selbst die Leiche einer politisch ehemals relevanten Gesellschaftsschicht noch als zu gefährlich für den einzelnen Menschen. Steckt schon hierin etwas Doppelbödiges, abgrundtief Ironisches, aber Unausgesprochenes? Etwas, das nicht für das Bewusstsein bestimmt, dass psychisch wie physisch unerträglich ist und daher unbewusst bleibt und bleiben muss? Steckt hierin etwas, dass selbst der Schöpfer dieser Geschichte und vor allem er, Stefan Zweig selbst, nicht wissen durfte?


Es gelingt der einfachen Angestellten durch geschickte Verstellung sich unter den Adel zu mischen und somit über ihre gesellschaftlichen Verhältnisse zu leben. An dieser Stelle setzt wohl eine Parallele an zur Entwicklung Griechenlands innerhalb der Europäischen Union, das ebenfalls über seine „Verhältnisse“ gelebt zu haben scheint, an.


Der Eintritt Griechenlands in die EU, ohne einen funktionierenden Rechtsstaat im Jahr 1981 und die Einführung des Euro im Jahr 2000 ohne die Stabilitätskriterien zu erfüllen mit Hilfe von gefälschten Staatsbilanzen erfüllt den hinreichenden Tatbestand einer Systematik von Täuschungen, um Teil einer Gemeinschaft zu werden, für die einem die Voraussetzungen fehlen, für die man nicht reif genug, nicht genug entwickelt ist - weder als Gesellschaft, noch als politisches System*. (Wobei hier nicht verschwiegen werden darf, dass für die Aufnahme Griechenlands mehr strategisch geopolitische Erwägungen die ausschlaggebende Rolle gespielt haben dürften.) Die Parallelen zur erschlichenen Zugehörigkeit unserer Postangestellten liegen auf der Hand - sie ist weder psychologisch (gesellschaftlich), noch geistig (politisch) der adligen Schicht gewachsen.


Unsere Postangestellte wird alsbald entlarvt (für Griechenland ist diese Entlarfung als Offenbarungseid der drohenden Zahlungsunfähigkeit spätestens seit 2010 bekannt geworden) kehrt zurück in ihr altes Leben auf dem Land, von dem sie nun gänzlich entfremdet ist. Sie hält jedoch das Leben auf dem Land nicht aus und zieht zurück nach Wien (Griechenland führt nicht die Drachme wieder ein und tritt nicht aus der EU aus, sondern bleibt in beidem, trotz mangelnder Eignung), lernt einen Mann kennen, der als Kriegskind seine Kindheit verloren hat. Sie beschließen einen gemeinsamen Selbstmord, weil sie vom Leben, das sie hatten oder haben wollten zu viel und zu schnell verloren haben, ohne die Fähigkeit sich an die wechselnden Zustände zu gewöhnen. Eine wirklich sehr unangenehme, unbequeme Geschichte.


Die Unfähigkeit zur Anpassung resultiert aus einer relativ überhöhten Veränderung von Lebensbedingungen und bringt alle involvierten Kreaturen schnell in existenzielle Not. Sie erzeugt Anpassungsdruck und -stress, der bei sensibleren Naturen lebensgefährlich werden kann und in jede Form von Psyche oder Stoffwechsel hinein wirkt. Stefan Zweig fühlte sich existenziell bedroht durch die politisch-sozialen Veränderungen in Europa und wählte vielleicht zur Abwehr der Gefahr den Diminutiv als Begriff, eine Untertreibung, das Understatement, um mit seiner Angst vor der heraufkommenden Gefahr fertig zu werden? ¨Postfräuleingeschichte¨, will meinen - es ist nicht so schlimm, keine ernsthafte Geschichte, eher ein Geschichtchen und daher halb so wild, nur eine von meinen vielen Geschichten, aber dann... sehen wir entsetzt durch den Doppelselbstmord Zweigs und seiner Frau im Jahr 1942 in Petropolis (Brasilien), wie ihn ausgerechnet dies Geschichtchen einholt… als seine verborgene Realität und tödliche Wahrheit: eine kulturphilosophische Deprivation neuen Typs?

Die heutigen Griechen sind pessimistisch bis ins Mark. Sie wissen, was sie alles falsch machen und dennoch geben sie nicht sich die Schuld, sondern allen anderen - außer den eigenen Parteien auch und vor allem dem Ausland. Wie ist solch eine kollektive Verdrängung möglich? Die Unfähigkeit sich als verantwortlich relevante Größe in ihrer Argumentation einzubringen bedeutet im Grunde, dass sie sich selbst bereits als politisch irrelevant und unmündig ausgeschlossen haben. Insgeheim ist es natürlich die Angst vor dem Untergang, aber eine lähmende Angst, weil die Kraft dagegen anzukämpfen fehlt – in Formel: man kann ja doch nichts tun. Dies kann selbst für ein ganzes Volk tödliche Konsequenzen haben. Die zahlreichen „failed states“ überall auf der Welt, als neue Kategorie in der modernen Terminologie für gescheiterte Staatsbildung und die akute Krise in der Ukraine zeigen allzu deutlich, dass niemand einem Volk seinen Staat schenkt – es muss schon selbst wollen, sonst ist mit ihm kein Staat zu machen.


Selbstkritik kommt zwar überall vor, doch nur als hohle Phrase – nirgends als echte Überzeugung, die Verhaltensänderung bewirkt. Diese Handlungsschwäche, diese radikale politische Apathie kann nur durch eine lange Gewöhnung an Ohnmacht, an Niederlagen, an politische Unmündigkeit entstanden sein. Eine Routine und lange, generationenübergreifende Kette von Katastrophen und Erschöpfungszuständen führte zu einer Tradition und Folklore des Zurückweichens, Versagens, Nachgebens - ein Blick auf die griechische Geschichte nach der Eroberung durch die Römer erklärt dies zur Genüge: wenn die Griechen etwas können, dann das Vergangene und Untergegangene, die ehemalige Größe beweinen und anhimmeln – in der politischen wie in der privaten Sphäre. Sie beleihen Ihr zerbrechliches Ego der heutigen Gegenwart von der glorreichen, mittlerweile fernsten Vergangenheit in der Antike. Diese Leihgaben geschehen oft auf recht geringer Bildungsgrundlage als Farce und eitle Maskerade, so dass deren Anblick gelegentlich sehr unappetitlich werden kann.


Die Entfremdung mit sich selbst, von der eigenen Lebenswirklichkeit ist so fundamental, wie im Roman „Rausch der Verwandlung“, wie am Ende des Lebens von Stefan Zweig. Die Griechen sind in Griechenland ausgeschlossene Staatsbürger, Ausgewiesene im eigenen Land - kein Wunder, dass zwar nicht sie, aber ihr Land stirbt...


War sich Zweig am Ende selbst in der Emigration ein Fremder im eigenen Leben geworden? War sein heroischer Pazifismus mithin von Anfang an ein Symptom von einer wie auch immer gearteten persönlichsten Schwäche? Ging es deshalb für ihn, trotz finanzieller Absicherung, doch nicht weiter? Werden die Griechen weiter machen bis Ihr Staat auseinanderbricht oder finden sie am Ende doch einen eleganten Ausweg aus der selbstverschuldeten Ohnmacht?


Tatsächlich gibt es im Roman eine Alternative zum zunächst geplanten Doppel-Selbstmord der Postangestellten und ihres Freundes. Sie beschließen stattdessen einen Postraub zu begehen und danach zusammenzuleben – mit diesem Beschluss endet der Roman. Sie beschließen weiterzuleben, aber um den Preis des Ausschlusses von der bürgerlichen Gesellschaft. Wie Griechenland, das sich Geld am Kapitalmarkt so lange leiht bis es zahlungsunfähig ist und von der internationalen Finanzwelt mit Ausschluss bedroht wird, weil es seine Kredite nicht mehr bedienen kann. Aber die Kredite nicht mehr bedienen können kommt einem Raub des geliehenen Geldes am Gläubiger sehr nahe. Und was geschah? Es kam genau zu diesem (Post-)Raub an den Gläubigern durch schrittweisen Schuldenerlass unter dem Deckmäntelchen von EU-Hilfsprogrammen.


Und plötzlich vermögen wir einen heiteren Zug in der Szenerie der Ereignisse zwischen Roman und Wirklichkeit zu entdecken: eine Gemeinschaft, ein Paar, eine Staatengemeinschaft, die EU wie sie aus gemeinsamen Interessen angetrieben, Hand in Hand auf Beutefang nach Geld geht, einem Geld, das gleichsam mit der (elektronischen) Post Grenzen überschreitet, um von diesen oder jenen Gesellschaften eingefangen und genutzt zu werden, geraubt und transformiert zu werden, verwandelt in etwas, das wir Leben nennen.


Ich habe ein Jahr gebraucht, um das zu beschreiben, was ich damals als "Rausch der Verwandlung" in einem Griechischen Buchladen verstanden habe.

Donnerstag, 29. Mai 2014

Auf der Suche nach meinem poetischen Ich

In den letzten Monaten sichte ich und sichte ich meine „Papiere“. Früher waren es Papiere, jetzt sind es natürlich Archive digitaler Dokumente in Verzeichnissen und Unterverzeichnissen mehr schlecht als recht geordnet.
Dabei ist einiges zusammengefasst in Form von Sammlungen mit provisorischen Buchtiteln. Eine Beinahe-Veröffentlichung ist auch dabei.

Leben und Schreiben – das sind bei mir zwei Tätigkeiten, die immer parallel laufen, doch nie harmonisch – keine mag die andere, jede braucht die andere, möglicherweise handelt es sich um eine klassische Hassliebe. Sie haben beide ihr eigenes Tempo und niemals das Gleiche. Mal ist das Leben dem Schreiben voraus, mal habe ich wieder etwas geschrieben, was noch gar nicht an der Zeit ist. Laufen sie beide synchron, was zum Glück sehr selten der Fall ist, dann ist es ein unglaublich langweiliger Zustand – das Leben wird fast problemlos zum Wort und jedes Wort, das mir einfällt, kann gelebt werden. Viele Menschen halten dies für die Definition des Glücks – es ist nicht mein Glück. Neugierig sein, neugierig bleiben und eine Sehnsucht nach dem Unbekannten pflegen und dies unstillbare Verlangen bei sich hüten, wie einen Schatz, den niemand stehlen kann – das gehört eher zu meinem Glück.

Im Grunde könnte ein Pedant einwenden, aber Leben sei keine freiwillige Tätigkeit und damit im Grunde gar keine Tätigkeit, die sich als Tätigkeit ja erst dadurch von allem Geschehen unterscheidet, indem man diese aus freiem Willen sich aussucht und wer ist schon aus freiem Willen am Leben? Und ein anderer Pedant könnte ebenfalls einwenden, dass Schreiben und sich Bezeugen im Grunde auch keine Tätigkeit ist, sondern eine Erzeugung von Zeichen, so wie überall in der Natur Formen und Strukturen entstehen, die aus mehr oder weniger komplexen Mustern bestehen, so auch alles Geschriebene, also auch dies keine ausgesuchte, frei gewählte Tätigkeit ist. Als Drittes kommt jemand hinzu und sprengt willkürlich die Runde mit den Worten: euer unbewusstes Gefasel über die Natur der Freiheit widert mich an – handelt oder schweigt! Es könnte ein Nachfahre des jungen Goethe sein, der seine ersten literarischen Weihen in der Zeit empfing, die man später die Zeit des „Sturm und Drang“ nannte.

Die Sprache meiner Epoche ist die des Sturm und Drang – nie war die Deutsche Sprache stärker, frischer, schöner – bei Heine wird sie bereits ironisch gebrochen, zeigt Alterserscheinungen – natürlich auch Reife – Heine, Nietzsche, Rilke haben sie unendlich verfeinert. Ich mochte jedoch diese spätere Einbuße an Kraft und wenn man so will die Einbuße am Idealismus aus Inhalt und Form nicht mehr hinnehmen und so kehre ich in meiner Poesie immer wieder zum Stil des Sturm und Drang zurück, wie zu einem Brunnen, aus dem ich stets erneuert wieder hervortrete.

Im Lichte dessen, so deute ich das bisher gesagte, erscheinen mir die Probleme, die ich mit vielen meiner bisherigen, vor allem älteren Gedichten habe – sie mal besonders gut, dann wieder besonders schlecht zu finden – der Tatsache geschuldet sind, dass ich im Urteil über mich schwanke. Ist Erinnerung nicht ein permanentes zu-Gericht-Sitzen über sich selbst? Es ist jedenfalls eine wahre Mühsal sich mal frei zu sprechen und dann doch wieder für schuldig zu erklären.

Diese Last endlich abzulegen ist der Grund dieser Vorrede und eine wahre Wohltat. Das Urteil ist ein für alle Mal gefällt: es sind Jugenddichtungen, die stilistisch selbst unentschieden sind, noch schwanken, jedoch ihre poetische Begründung haben, also werde ich einige davon hier präsentieren. Und damit jedermann weiß welche Lebensspanne diese meine „Jugend“ betrifft, so sei hiermit gesagt, dass ich zwischen dem zwanzigsten und fünfunddreißigsten Lebensjahr als Jugendlicher gedichtet habe – davor habe ich bloß Wissen erworben, die Sprache vor allem gelernt und geübt.


AN DIE BILDUNGSGLÄUBIGEN

Gefräßige Klarheit des Gedankens,
Wie schneidest du in unser schwaches Fleisch
Und ohne Gnade tief unter der Haut,
Die Wahrheit blutend zerrst ans Licht,
Wo sie, die Schattenhafte, nicht leben kann.

Und ohne Furcht siehst du dem Sterben zu,
Das die Vernunft dem Leben schenkt,
Als würde sie ihm Ewigkeit versprechen
Im Leichentuch einer Erkenntnis.


KOSTBARKEIT

Das Licht vertreibt nicht das Dunkle.
Was namenlos, verborgen in uns ruht,
Das kapselt sich ein, wird tiefer vergraben,
Vom Licht gejagt, wie scheues Wild
Flüchtet es in immer dunklere Wälder.
Und immer dichter wird das Gestrüpp,
Und immer ungangbarer der Weg,
Doch weiter gejagt und beinah zerdrückt,
Gehärtet vom Licht in der größten Stille,
Strahlt es wie ein Diamant in der Einsamkeit.


DUMMHEIT

Wie eine Welle erfasst die Dummheit die Menschen.
Sie hebt sie in die Höhe und reißt sie in die Tiefe.
Sie vernebelt ihre Gehirne mit Riten und Schwüren
Und schickt sie lächelnd und glücklich in den Abgrund,
Und so im Sturz ihres ausgehöhlten Lebens
Ahnen sie nichts vom eigenen Verlöschen,
Das dunkler bleibt als eine sternenlose Nacht.


LIEBENDE SEELE!

Die Lebensgeister alle aufgeschreckt!
Rasende Stürme meines Blutes!
Pochendes Herz, die Angst auf meiner Stirn geschrieben!
Und alle Glieder zitternd vor Ungeduld!
Als wollte alles in mir zum Sprung ansetzen –
Zum weitesten Sprung, so weit und schnell,
Dass ich aus der Sonne Licht
Und dem Schatten selbst entfliehen wollte!

Dein Blick betäubend! –
Aus vollem Lauf und ausgestreckt –
Die Krallen einer Pantherin,
Die in weiches Fleisch gekrallt,
Leidvolle Tränen warmer Sehnsucht fließen lässt
Und den durstigen Boden mit Liebesqualen tränkt!

Der Fluss der Zeit gerät ins Stocken.
Die Stunde und der Tag – sie gehen nicht!
Zu kostbar ist ein einziger Augenblick!
Und voller Pathos, voller Agonie
Kreuzen sich unsere Blicke machtvoll,
Wie die blanken Klingen von Schwertern!

Dich nicht zu sehen, dein Anlitz zu entbehren,
Wäre verbrecherisch, so sagt mir mein Verstand,
Doch nicht nur er, der ungestüme Sprecher –
Das ganze Leben ruft mir deinen Namen!

Als hätt’ Odysseus seinen Weg am Ende doch verloren!
So dich zu missen, dich zu verleugnen wäre:
eine grauenvolle Tat, die zu benennen Worte fehlen
– ein zweiter Sündenfall durch unsere Schuld!


AM HORIZONT

Auch die Natur und die, die sich natürlich finden,
Machen auf mich den Eindruck von Mimen,
Die mehr schlecht als Recht, wie Hülsenfrüchte,
Ausgetrocknet und eingepackt, verstaut im Regal
Warten, dass jemand sie kauft und aufkocht.

Am Horizont der Natur herrscht eine Kraft,
Die jedes Auge blendet, jeden Laut verschlingt,
Den stolz-gestreckten Hals zerbricht,
Den prächtigsten Wald verbrennt
Und höchste Berge zu Staub zerfallen lässt.

Unter diesem Horizont gibt es nur eitle,
Von Angst zerfressene und aus ihr Lebende –
Geschöpfe, die leben wollen und sterben müssen!
Geschöpfe, die genießen wollen und leiden müssen!

Unter diesem Horizont begrüßen sich all jene,
Die ihre Existenz nur leihen und jammervoll
Und ohne Lohn und Hoffnung wieder abgeben.


RUSSLAND

Wertvolle Seelen mit wertlosen Körpern
Furchtvolle Wurzeln der Nostalgie
Unter dem strengen Blick der Geschichte
Tastet deine zitternde Hand der Zukunft entgegen!

Menschen in Schmerz und Geist vollendet
Ihr legt euch selbst in die Teller
Und mit einem Wässerchen spült ihr
Die grausame Mahlzeit hinunter!

Die Stolzen und Freien – ihr liebt sie, ihr tötet sie.
An ihren Gräbern beweint ihr mit schönen Versen
Die Helden des Mütterchen Russland, die allesamt
Im Tode all das euch schenken, was ihr nicht habt.

Weit ist das Land, doch blickt in die Enge
Voll Zorn und Gier das Volk mit unstillbarem Durst
So kämpft es mit Lügen gegen den sonnigen Blick
Und umarmt die Dunkelheit wie eine Geliebte.


DITHYRAMBUS

Gib nicht dem Wein die Schuld,
Dass du dem Rausch in dir
Nicht treulicher kannst dienen
Als durch den Saft der Traube.

Gib nicht dem Mensch die Schuld,
Dass du die Freude in dir
Nicht unbeschwert entfachst
Als durch die List der Musen.

Die hohle Nuss, die Kopf du nennst
Wird jauchzen und frohlocken
Weil du den allzu schweren Geist
Bald lallend lachend fortgejagt!

Füll nur dein Glas randvoll und trink
Und jeder sei dir Bruder, Schwester
Und trink schnell aus und fülle ein
Bis Freund du unter Freunden bist!

Nun sieh dir an den wahren Gott,
Der dich aus allen Augen sieht,
Der zu dir spricht mit allen Stimmen
Und lebt, um deinen Durst zu stillen!

KUSS

Wenn sich ein Spalt in den Wolken öffnet
Und das Licht bricht durch.
Wenn sich die Erde mit dem Himmel vereint,
Wie die Lippen mit Zungen aus Gold.
Wenn ein feuchter Wind mit Kälte und Wärme
Seinen wilden Tanz entfacht,
Der enge Raum die Erde in sich schließt,
Und die Wogen des Meeres und alle Kräfte der Natur
In einem Strom zusammenfließen –
Küsse ich dich!

Wenn Sonne und Mond gleichzeitig am Himmel steh’ n
Und die Welt aufhört sich zu drehen.
Wenn Tag und Nacht sich heimlich treffen,
Wie wenn die Zeit aufhört zu sein.
Wenn du und ich gemeinsam trinken
Aus unserer Körper eignen Bechern
Und Herz auf Herz im selben Takt,
Der Schlag auf Schlag in uns ertönt,
Ein Lied von dir und mir uns singen –
Küsse ich dich!

Wenn alle Worte falsch, Gedanken Lügen sind
Und frisches Leben ungeteilt entsteht.
Wenn alle Wege eins, glühende Wangen Bäuche sind,
Wie wenn das Fieber durch sie brennt!
Wenn nichts mehr trennt, kein Leben und kein Tod
Und keine Lunge Luft, kein Auge Licht mehr braucht,
Die Sinne jeden Augenblick ganz neu entsteh’ n
Vergangnes lebt, Zukünftiges rast herbei,
Den Samen aller Dinge in weiche Erde tief zu senken –
Küsse ich dich!

Und zuletzt bringe ich meine Version der Shades of Grey - nur poetisch und philosophisch, aber Poesie in deutscher Sprache, wie sie vielleicht heute möglich ist oder sollte ich sagen "möglich sein sollte"...
Darin deutet sich bereits ein Übergang an. Wenn ich auch betonen muss, dass ich heute ganz anders klinge.

Vor Jahren als ich in der ostwestfälischen Provinz gestrandet war, wie ein junger unerfahrener Walfisch, da geriet ich auf Gedeih und Verderb in die Abhängigkeit des Internets. Das ging sogar soweit, dass ich im Internet live zu dichten begann und aus diesem Stream entstand in seinem Kern in wenigen Minuten folgendes Gedicht, das meinen inneren Aufruhr über die kollektive Vernetzung, die täglichen Lawinen des Wahnsinns und Blödsinns mit mehr als deutlichen Worten zum Ausdruck bringt:


DER TÖDLICHE STRANG
(Stimme aus dem Schatten)

Eingezwängt in endlose Reihen
Von Ahnen und universellen Bahnen.
Strich für Strich, Zug um Zug –
Silbrig glänzen die geschmiedeten Fesseln,
Fröhlich blöken die Kälber der Kultur!

Gift will ich sein und Stachel,
Brennende Seelenqual des Geistes
Einer verblassenden Zivilisation,
Die jedes Bild und jeden Ton
Tiefer schreibt und tiefer brennt
In unser geschundenes Fleisch!

Du duckst dich und was du denkst
Ist schuld daran, dass unser Himmel
Tiefer hängt als manche Decke
In unseren urbanen Käfigen,
Die wir Wohnungen nennen –
Wir Termiten des Humanen!

Manche Menschen glauben und dichten,
Um die verhängnisvolle Gemeinschaft
Von Wiederkäuern, die sie sind –
Auch noch zu bestätigen!

Manche aber – sie dichten,
Um nicht den zu töten, den sie hassen,
Um dem Himmel sein Blau zu schenken,
Und dem Abendrot sein leuchtendes Rot,
Um das Leben Stück für Stück
Herauszuzerren aus diesem Massengrab!

Eitel kriecht und gräbt der Maulwurf,
Gierig frisst er sich durch die Fäulnis der Erde.
Und während er glaubt Maulwurf zu sein,
Ist es ein Mensch, der liest, der hört, der sieht
Bücher wie Daten frisst, Gedanken verschlingt,
Blind geboren, mit leeren Augenhöhlen
Auf denen alte geronnene Farben kleben
– so scheidet er aus in der Dunkelheit!

Zerknitterte Seele – du solltest noch ein Lied
Erfinden, das den Staub, den letzten Flug –
Eines Gedankens, der einst so schön, so mutig war
Wie einen Schmetterling einfängt – und leben lässt!

Trink noch einen Schluck, damit du dem Tod
Noch einen Rausch als Abschiedsgruß
Auf die zerrissenen und blutigen Fersen wirfst,
Wie ein Wolf sich wirft auf das lahme Wild,
Wie ein Hai sich in die Rippe verbeißt,
Wie ein Weib sich wirft auf den Mann!

Diese Worte um mich, um euch, um uns!
Fade und blass, abgelegte Kleidungsstücke
Fremder Seelen, die sich nie begreifen konnten
Und nun zu Simulationen, Zerrbildern
In den Deponien unserer Zivilisation wurden!

Nichts ist so süß und verführerisch wie Du!
Ich sehe das wilde Flackern des Abgrunds in deinem Auge!
Das Leben ist der Bankrott der Existenz.
Und wenn wir uns gleich der Liebe hingeben,
Dann singen wir mit schmerzverzerrten Lippen
Mit Bissen und Flüchen bedecken unsere Körper,
Durchdringen uns mit den Bajonetten der Leidenschaft!

Doch diese Zeit, diese Komödie – sie sieht nicht,
Wenn Mordlust den Clown befällt und Dummheit
Sich in prächtige Gewänder hüllt!

Aber selbst wenn die Wahrheit zu uns käme
Nackt und verführerisch, duftend nach Rosen,
Mit ihren Blütenkelchen voll süßem Nektar,
Mein grausamer Bruder – wir sollten sie warnen,
Du und ich, obwohl wir uns hassen – wir beide –
Würden sie für das Geringste opfern - aus Gefälligkeit.

Bleiern, brodelnd, Licht-würgend zieht der Schatten
Um die Friedhöfe des Lichts seine eisigen Bahnen!
Über den Meeren schwarzen Wassers dröhnt
– ein schwebender Maschinengesang!
So werfe ich dies Gesicht,
Das nicht mehr meins ist,
In ein tausendjähriges Nichts!

Nun zum Glück dauerte dieses Nichts nur sieben und nicht tausend Jahre und war durchaus keine Vakuole voller Ereignislosigkeit. Dieser Landstrich half mir meinen Blick zu schärfen über jedes nur erdenkliche oder sollte ich nicht ehrlicherweise sagen "anständige" Maß hinaus?

EPIKUR und die moderne Kosmologie. Seine Schriften sind elegant formuliert und intellektuell anspruchsvoll - dies macht wissbegierigen Menschen Freude - nur soviel zur Harmlosigkeit deutscher Buchtitel...







Alle drei abgebildeten Bücher gibt es bei Amazon zu erwerben - die "Philosophie des Glücks" sogar die Gesamtausgabe in einer e-Book Kindle-Edition. Das Buch von D. Laertius enthält Epikurs naturphilosophischen "Brief an Herodotos" in voller Länge. Diogenes Laertius - Von dem Leben und den Meinungen berühmter Philosophen (Kindle Edition), darin 10es Buch.

Randnotiz zu Epikur
(Nachtrag vom Ende der 90er Jahre - aus meinen Jugendlektüren)

¨Lob Epicur´s. Die Weisheit ist um keinen Schritt über Epikur hinausgekommen - und oftmals viele tausend Schritt hinter ihn zurück.¨
Friedrich Nietzsche, Nachgelassene Fragmente, Ende 1876 - Sommer 1877, 23(56)

Seit einigen Jahren lässt sich eine gewisse Bücherschwemme in der kosmologischen Literatur beobachten. Darunter sind Bücher von Stephen Hawkings, Harald Lesch und vielen anderen literarisch-tätigen Naturwissenschaftlern zu finden. Sie erwähnen pflichtschuldig alle Demokrit (460 - frühes 4Jh.v.u.Z.) und seine ihm zugeschriebene Idee des Atomismus, der Vorstellung von unteilbaren Teilchen als Grundbestandteilen aus denen alle Stoffe im Universum zusammengesetzt sind.

So weit so unvollständig. Da war ja noch etwas mehr als Demokrit. Epikur zum Beispiel. Dieser lebte 341 bis 270 v.u.Z.. und erweiterte den Atomismus des Demokrit entscheidend und ich würde mir mit dieser Randnotiz hier nicht Mühe machen, wenn nicht viele der Vorstellungen Epikurs an die Quantenmechanik oder die Relativitätstheorie des letzten Jahrhunderts erinnern würden, in der aktuellen kosmologischen Literatur aber so gut wie gänzlich unerwähnt blieben*.

Im folgenden zitiere ich aus dem Buch Epikur, ¨Philosophie der Freude¨ (Alfred Kröner Verlag Stuttgart, 1973). Dabei stelle ich den Zitaten, die Postulate der modernen Physik zur Seite, die mir am ehesten zu passen scheinen. Dabei möge jeder für sich und je nach Grad der eigenen naturwissenschaftlichen Kenntnisse beurteilen, inwiefern hier von echten Parallelen gesprochen werden kann, oder ob es sich dabei um Fehldeutungen meinerseits handelt.

¨Brief an Herodotos¨ S.75ff
(Ja - es gab eine Zeit, da war Philosophie so wichtig, dass man sich Briefe zu diesem Thema schrieb.)

¨Vor allem ... muß man sich einprägen, was den Bezeichnungen, die wir gebrauchen, zugrunde liegt, um alles Vermutete, Umstrittene oder Bezweifelte darauf zurückzuführen und daran nachprüfen zu können, sonst gerät durch uferlose Erklärungen alles in Verwirrung und wir führen nur leere Worte im Munde.¨

Vielleicht ist das auch als Seitenhieb auf den Platon-Schüler und Großsystematiker Aristoteles und dessen allzu großen Willen aus einzelnen Erkenntnissen ein Gebäude des Wissens zu errichten gemeint. Aber ist Erkenntnis ein festes Gebäude? Kann sie es sein, wenn sie doch nur erzielt wird durch beständige Prüfung an der Erfahrung und an allem Veränderlichen der Natur um uns? Ist es nicht eher ein Gebäude, das sich immer wieder errichtet, umgestürzt, umgebaut und neu errichtet wird? Und diese Metapher des Gebäudes, die nicht unbedingt eine Metapher von Aristoteles ist, aber als Metapher betrachtet und geprüft fragen wie diese nach sich zieht: dient Erkenntnis nur Gegenständen, "Gebäuden" aus der Sphäre des Wohnlichen und Bewohnbaren? Können und dürfen wir nur Bewohnbares erkennen? Ist unser ganzer Erkenntnisapparat nur dazu fähig? Ist auch die Kosmologie eine eingeschränkte und unsere Spezies allein betreffende Philosophie des erweiterten Interrieurs? (Diese eingeschobenen Fragen führen hier jedoch zu weit.) Epikurs Auffassung weist uns an sich schon weit genug in die Zukunft zu Galilei, zu dessen wissenschaftlichen Geboten von Nachprüfbarkeit und begrifflicher Klarheit: ¨Messen, was messbar ist, messbar machen, was noch nicht messbar ist.¨ Dies gilt sowohl für technische Apparaturen, wie für die zur Erklärung verwendete Sprache. Messapparatur wie Sprache muss auf nachprüfbaren Ergebnissen gründen. Frei nach Epikur zurückführbar und nachprüfbar sein - sonst ist das Ergebnis ¨Verwirrung¨ oder schlicht ohne Bedeutung.

Postulat von der kaum vorhandenen Stofflichkeit, Materialität des Lichts - Epikur sagt dazu ¨Zartheit¨.

Hier wird nicht in einfältiger Subjektivität von den Wirkungen des Lichts auf Gefühle geredet, sondern konkret von dessen Beschaffenheit und Materialität. Dies ist wichtig zu erwähnen, um das übliche Verfahren ein für allemal zu unterbinden und zu unterbrechen, das aus Epikur einen gute-Laune Philosophen machen will. Das heisst natürlich nicht, dass er nicht ein gute-Laune Philosoph war - nur ich vermute, die meisten, die sich zu ihm gut gelaunt gesellen, hätten bald Probleme seinen geistigen Launen zu folgen und bald keine so gute Laune mehr. Also nochmal: Licht ist ein Stoff, dessen Gewicht wesentlich leichter ist als andere Stoffe - Epikur sagt nicht nur "Zartheit", sondern wie wir gleich sehen werden "unüberbietbare" Zartheit, also extreme Leichtigkeit (die Gefühligen unter uns bitte ich an dieser Stelle nicht gleich an Berührung zu denken) - heute weisen wir dem Licht außer Wellen- auch Materieeigenschaften zu - geben ihm jedoch die Masse 0.

Epikur: ¨Ferner - es gibt Abdrücke, die den festen Körpern gleichgestaltet sind, jedoch durch ihre Zartheit weit verschieden von den Dingen, die durch sie wahrnehmbar werden. ... Diese Ausformungen nennen wir Abbildchen (Eidola).¨

Postulat der Lichtgeschwindigkeit als Konstante, wie sie die Relativitätstheorie auch formuliert.

Epikur: ¨Ihr Flug durch das Leere durchmißt, wenn ihm nichts entgegentritt, an das er anprallen könnte, jede erdenkliche Entfernung in unvorstellbar kurzer Zeit, und was uns an ihm wie Verlangsamung oder Beschleunigung erscheint, ist in Wirklichkeit nur das Vorhandensein oder Fehlen eines Hindernisses.¨

Zuletzt konnte man von Experimenten hören, in denen es gelungen sei, Lichtwellen bis auf wenige Meter pro Sekunde abzubremsen. Auch dies scheint in diesen Sätzen faszinierenderweise enthalten zu sein.

Postulat der Lichtgeschwindigkeit als der größtmöglichen Geschwindigkeit im Kosmos.
Epikur: ¨Sodann - dem Gedanken, daß die Abbilder von unueberbietbarer Zartheit sind, widerspricht in der Erscheinungswelt nichts. Deshalb auch ist ihre Geschwindigkeit unüberbietbar, da jedes den für es passenden Durchgang hat, ...¨

Ebenso der Ansatz des Postulates, dass elektromagnetische Felder, die bewegliche Elektronen, in den Synapsen unserer Gehirnwindungen erzeugen (Elektronen haben Masse, sind langsamer als Lichtquanten, erzeugen aber ein elektromagnetisches Feld, das sich mit Lichtgeschwindigkeit ausbreitet...) etwas mit diesen Eidola und ihrer Geschwindigkeit gemeinsam haben.

Epikur:: ¨Auch ist zu sagen, dass die Abbilder in Gedankenschnelle entstehen. Der Strom von der Oberfläche der Körper her ist nämlich ein unaufhörlicher, auch wenn er wegen seiner ständigen Wiedernachfüllung keine ins Auge springende Kenntlichkeit besitzt.¨

Es gibt auch heute wenige Literaten unter den Naturwissenschaftlern, die ein elektromagnetisches Feld so plausibel beschreiben könnten.

Korrigierend und die ansetzende Euphorie etwas dämpfend muss man feststellen, dass Epikur die Eidola nicht für Strahlen hielt, sondern für äußerst zarte materielle Gebilde, also mit einiger Flexibilität in der Übertragung von Bedeutung für Gebilde, die gleichsam mit einem hermeneutischen Rückfallzieher formuliert den materiellen Charakter des Lichts ausmachten. So können diese Eidola überhaupt in unserem Auge oder Geiste einen ¨Abdruck¨ der äußeren Welt und ihrer Gegenstände erzeugen. Das Licht als elektromagnetische Welle, als Lichtstrahl vergleichbare Wirkungen durch Übertragung von Energie haben könnte lag wohl außerhalb des Denkbaren für die damalige Zeit.

Epikur (S.85): ¨Die Außendinge selbst können ihre Wesenheit in Gestalt und Farbe nicht ... durch die ... Luft ... (und) auch nicht vermittelst irgendwelcher Strahlen ... wohl aber (als) gewisse gleichfarbige und gleichgestaltige Abdrücke...¨ auf uns übertragen.

(Was er unter "Strahlen" versteht erfahren wir leider nicht.)

Die Abbildung der äußeren Welt im Inneren des Menschen erschien stets als materielle Vorstellung eines ¨Abdrucks¨, dessen Bewegung freilich unfassbar schnell sein müsste, dessen Materialität entsprechend unfassbar "zart". Doch gerade wegen dieser unmythologischen, wisseschaflichen Einstellung alle Phänomene durch nachprüfbare und von jederman nachvollziehbare Erfahrungen zu beschreiben gelang es Epikur ein physikalisches Weltbild zu formulieren, das eine zusammenhängende Welt beschreibt, die unseren Sinnen kohärent erscheint, die auch unabhängig von jedem Bewußtsein ein Kontinuum darstellt. Eine Welt, aus der niemand fallen kann, kennt natürlich keinen Himmel und keine Hölle und ja nicht einmal den Tod.

Epikur: ¨Der Tod ist für uns ein Nichts, denn was der Auflösung verfiel, besitzt keine Empfindung mehr. Was aber keine Empfindung mehr hat, das kümmert uns nicht.¨ (S.51)

Es mutet an, um zu seinem Weltbild zurückzukehren, als würde er uns 2.000 Jahre vorauseilen und eine klassische Feldtheorie formulieren, wenn er auf S. 85 schreibt:

¨Die Abdrücke besitzen eine große Geschwindigkeit, sie sind es, die uns darum die Vorstellung von dem einen, zusammenhängenden Ding liefern und die Empfidung von dem ihnen zugrunde liegenden Gegenstand festhalten, entsprechend dem mit ihm übereinstimmenden Eindruck, der von dort her infolge der Atomenschwingung im Innern des festen Körpers hervorgerufen wird.¨

Hier will ich ein vorläufiges Ende dieser Randnotiz setzen. Mögen Berufenere als ich diesen Ansatz weiter verfolgen.


Post Scriptum:

Ich kann mich nicht enthalten diesen Hinweis denn doch zu geben. Vielleicht wirkt die Klarheit epikureischer Logik inspirierend auf diejenigen Naturwissenschaftler, die sich den Kopf über dunkle Materie, dunkle Energie und die Strukturelementne des ganzen Universums zerbrechen.

Epikur (S.80ff.): ¨Das All ist unendlich. Denn was begrenzt ist, hat ein Äußerstes, doch kann ein Äußerstes nur durch Vergleich mit etwas anderem wahrgenommen werden. (Neben dem All läßt sich aber nichts wahrnehmen.) Da das All also kein Äußerstes hat, hat es auch keine Grenze, und da es keine Grenze hat, so dürfte es wohl unendlich und unbegrenzt sein.

Das All ist sowohl nach der Menge des Körperlichen wie nach der Größe des Leeren unendlich. Denn angenommen, das Leere wäre unendlich, das Körperliche jedoch begrenzt

(Aufgepasst! Hier geht es um das Verhältnis der Größe des Raums, von uns aus gesehen eines auch ins Unendliche expandierenden Raums und der Menge der Masse, die entweder konstant oder nicht konstant und daher abnehmend oder zunehmend gedacht werden kann. Bei einer Äquivalenz aus Masse und Energie wäre das Postulat der dunklen Energie ein zusätzliches Postulat von einer unbenannten Masse, bzw. Materie neben der ohnehin unbefriedigenden ¨dunklen Materie¨, die erst Recht mehr Verwirrung als Klarheit über unsere Wahrnehmungen erzeugt und daher anzuzweifeln wäre),

dann würden die Körper nirgends verharren, sondern im unendlichen Leeren zerstreut umherfliegen, da sie nichts fänden, das sie stützen könnte oder das ihnen beim Abprallen Halt böte.¨

Hier befinden sich wie im Keime beginnende Ahnungen eines Begriffs der Gravitation, wenn von ¨stützen¨ die Rede ist und des Begriffs ¨Wechselwirkung¨ vgl. starke und schwache Wechselwirkung, da die Körper trotz des Abpralls beim Zusammenstoßen laut Epikur "Halt'' finden.

In heutiger Terminologie: positiv geladene Teilchen, sich eigentlich abstoßende Protonen, die durch die starke Kernkraft zusammengezogen werden. Ein Zusammenhalt trotz Zusammenstoß und Abprallen der Atome. Das formulieren Physiker heute sicherlich, präziser, geschickter und vor allem formalistischer, aber ich hoffe ich konnte andeuten, was gemeint ist.


*Eine (noch) nicht weiter beachtete Ausnahme bildet hierzu die meisterlich angefertigte Seminararbeit des Arne Traun (2010, Universität Wien), nachzulesen unter http://sammelpunkt.philo.at:8080/1918/
Sie trägt den Titel ¨Der epikureische Atomismus - Auf den Spuren der modernen Physik¨, der ich an Wissenschaftlichkeit und Systematik nicht nacheifern darf und deren Inhalt ich bis zu diesem Zeitpunkt nur überflogen habe, da meine Gedanken zu Epikur bereits seit Jahren eine einsame Existenz in diversen digitalen Speichermedien fristen. Ich verdanke diesem jungen Wissenschaftler jedoch eine starke Ermutigung, meine Auffassung zu Epikur wenigstens für wenige Freunde und Bekannte, die meinen Blog kennen, zu veröffentlichen.