Zur Vorgeschichte der Musik, ihrer Urgeschichte vom Urknall
angefangen, die selbstverständlich als ontologische Grundbedingung bis heute
andauert, will ich mich nur kurz äußern. Asymmetrien führen zu Resonanzen, das Universum
entsteht als schwingendes inhomogenes Etwas und in dieser Inhomogenität steckt
"Musik", diese Inhomogenität ist "Musik", ist Sein, die
Existenz selbst. – Deswegen fühlen wir uns so verloren ursprünglich, wenn wir
plötzlich aus dem Takt geraten… unsere inhomogene Abkunft wird uns schlagartig
bewusst und wir schämen uns, ohne es recht zu verstehen.
Kurz nach dem Beginn von allem machen sich Troubadoure durch
die Provinzen Frankreichs auf dem Weg Gesänge voller Erregung und Sehnsucht
anzustimmen. Seit den frühesten Zeiten brauchte man Musik um sich am Leben zu
fühlen, war ein Leben ohne Musik ein "Irrtum".
Unromantische Wissenschaftler begannen bald darauf die
kreislaufregulierenden Effekte von sensorischen Reizen, die über Schallwellen
von (Klang-) Körper zu (Klang-) Körper übertragen werden zu erforschen. Wenn
nicht, so sollten sie dies bald tun. Anlässe darüber hätte es schon unzählige
gegeben seit den Gesängen des Orpheus in der Unterwelt, den Sirenen des
Odysseus, um ganz zu schweigen von den Regelungen des Hormonspiegels von
Menschen in der Neuzeit durch kollektive Hysterien ausgelöst von
Kastratenstimmen, Sopran-, Tenor- und sogar Baßstimmen, Klavier- und
Violinvirtuosen, Walzerartisten und nicht zu vergessen: die Beatlemania.
Sollte ich noch erwähnen, dass kein einziger Gott oder
selbst die Buddhisten, die keinen Gott kennen ohne das Lock-, Intonations-,
taktile und mentale Koordinationsmittel Musik auskommen? Jede Art von
Trancezuständen, die durch Atmen, Summen, kehliges Oberstimmen-Oszillieren,
Refrains, zu Trommeln kreisenden Suffis, den monotonen Singsang der einseitigen
Lyra, der einen zum Wahnsinn treibt, außer natürlich die entzückten Naturvölker
des südlichen Balkan und Nahen Ostens gehört zum entsetzlichen Ausmaß des
Phänomens – hier ist ein Halt geboten.
Aber springen wir endlich zur Hauptfrage: Was macht die
klassische Musik so wehrlos? Wodurch konnte sich bei den meisten Menschen die
Pop-Kultur und die dazu passenden unzähligen Stilrichtungen populärer Musik
durchsetzen? Diese Entwaffnung wurde durchaus durch die klassische Musik
selbst, wenn nicht durch die niederschmetternden Erfahrungen zweier Weltkriege
eingeleitet.
Die Menschen hatten massenhaft kollektive Erlebnisse von
Brüchen, Traumata höchsten Ausmaßes, Verlusterlebnisse schlimmster Art von
Angehörigen, Gewissheiten und Heimaten, die auch nur eine Sonderform von
Gewissheit waren und sind zu bewältigen. Diese Erlebnisse konnten sich in den
musikalischen Harmonien, zusammengesetzt aus den Geschichten und Geschichtchen
von unzähligen Abfolgen von Kriegen und den immer darauf folgenden erlösenden
Waffenstillständen des 18. Und 19. Jahrhunderts nicht mehr wiederfinden und ließen
sich somit nicht in die Tradition musikästhetischer Selbsterfahrung einreihen.
Ich unterscheide nicht zwischen Erlebnissen und Menschen, da Menschen die Tiere
mit einer bestimmten Typologie von Erlebnissen sind, Erlebnisse, die sie als "Menschen"
erkennbar machen und nichts weiter.
Die Notwendigkeit jedenfalls zum Umbruch, zum Heraustreten
aus einer Hauptströmung wurde also unumgänglich. Dieser Bruch mit der
bisherigen psychopolitischen, psychoästhetischen Existenzweise fand musikalisch
auf dem Schlachtfeld des Rhythmus statt. Der Rhythmus unterbricht schon aus
Prinzip, schon in seiner wesentlichen Funktion das musikalische Unisono, sein
Schicksal ist damit existenzielles menschliches Schicksal – er strukturiert das
musikalische Kontinuum des Lebens. Nennen wir es so: der Rhythmus ist eine Art
musikalischer Heimat, die durch Unterteilungen trennt, differenziert, Identität
stiftet, schöner gesagt, die das Feeling des Menschen über die Good Vibrations
vermittelt. Damit war es aber spätestens nach dem Ende des 2. Weltkriegs erst einmal
vorbei. Es konnte nicht wie bisher gelebt, genossen, gehört werden. Nicht
zufällig drehten sich fortan alle Diskussionen in allen Gesellschaftsschichten
um das richtige "Lebensgefühl".
So war es der abrupte Wandel des Rhythmus als die
fundamentale Kunst der Unterbrechung, der durchaus geistvollen, kunstvollen
Unterbrechung - man denke da an Strawinskis "Le sacre du printemps", die große Kreise noch traditionsgebundener Hörer dazu brachte
sich über den heraufbrechenden Siegeszug des Jazz im 20. Jh. zu empören. Man
handhabte den Rhythmus nun künftig freier, synkopischer, entdeckte sogar den
Ragtime bei Beethoven oder wollte ihn entdecken. Die Tragödie der
infernalischen Weltkriege hatte mit zwei unerhörten Paukenschlägen sich freilich
längst vollzogen – das Stück von Schlaf, Entwicklung, Befreiung, Aufklärung und
grausamster Ernüchterung hatte sich bereits abgespielt und zu Ende gespielt –
nur die noch Benommenen hatten zunächst Mühe dies zu erkennen.
Als Jean Michel Jarre die musikalische Weltbühne betrat mit
den Alben "Oxygen" (1976) und "Equinoxe" (1978) und mit dem
allerersten Anwenden der Samplingtechnik im Album "Magnetic Fields"
von 1981 ein Jahr vor Tron und vor dem C64 faszinierte er durch
Synthesizerklänge, die in ihrer Polyphonie die alte klassische Welt imitierten
und beinahe parodierten. Stilistisch blieb er der Polyphonie treu und damit
verharrte er zwischen den Welten der klassischen Musik und des Pop. Sein
verzweifelter Versuch aus seinem ersten Album eine Modernisierung im Stil des
Trance zu schaffen schlug im Jahre 1997 fehl und nahm seiner Musik ihre
authentische Substanz, die eben aus der Mischung einer alten Architektur mit
dem neuartigen synthetischen Klang bestand und bis heute so gültig ist. Dabei
ist es bezeichnend, dass genau im selben Jahr 1997 das Schweizer Duo YELLO das
stilbildende Trance Album "Pocket Universe" herausbrachte.
Und die klassische Musik? Unsere geliebte Klassik nach all den vielen Jahrhunderten ihrer Entwicklung bis zu ihrem vielleicht letzten großen Vertreter Dmitri Dmitrijewitsch Schostakowitsch
(1906-1975) ist in Wahrheit Archäologie, genießbar immernoch, aber als Vergangenheit,
während die heutige einzig verbliebene Kunstform in Tönen die Popmusik, eine Musik
unserer postheroischen Zeiten, Musik des Ambientes, Ambient Music ist. Deren einzigartige
ätherische Unberührtheit geht zum menschlichen Schicksal auf heilsame Distanz. Gruppen
wie Nightmares on Wax oder Aural Float erlösen mit pulsierenden Rhythmen,
Klangteppichen und schwerelosen Vokalen.
So bleibt mir am Ende weder eine dramaturgische, noch eine
theatralische Geste zu einem abschließenden Resumée oder einer alles
bezeichnenden Schlußfolgerung übrig. Die Überlegungen wiegen sich in der lauen
Luft des Abends. Die Klänge verbleiben periphär und unverbindlich. Alles
Konkrete ist als Maskerade aus den Tonstudios dieser Welt verbannt und die schönsten
Klangfarben schmeicheln unseren empfindsamen Ohren.