Sonntag, 15. Juli 2007

Gedanken über die Staatlichkeit der EU

Francis Fukuyama hatte in der Zeitung "Die Welt" geschrieben und zwar über die anzustrebende politische Einheit Europas. Ich hatte mir vorgenommen darauf zu antworten.


Die zu beobachtende Staatenbildung in unserer jüngsten Vergangenheit, trägt vorwiegend atavistische Züge. Beim Zerfall der Sowjetunion zum Beispiel feierten zum größten Teil Nationalstaaten ihre Auferstehung, die es zuvor gegeben hatte, die sich viele Jahrzehnte zuvor bereits zur Nationalstaatlichkeit formieren konnten. Die andere Form der Staatenbildung das "nation building" ist in Wahrheit gar keine Staatenbildung, sondern ebenfalls ein Atavismus internationaler Politik: die Rückkehr zur Kolonialpolitik auf der Basis der Rohstoffbeschaffung und der folglichen Notwendigkeit einer globalstrategischen Positionierung (Militärbasen u.a.).

Bei aller Macht, die der Zufall besitzt, jede Gegenwart schwimmt auf einem zeithistorischen Fluidum, aus dessen Elementen die Möglichkeiten geschichtlicher Weiterentwicklung sich heraus formieren und demzufolge ihr Vorhandensein wenn nicht herauszulesen, so doch zu erahnen ist. Dieses Fluidum war ein anderes als sich die Nationen in Europa bildeten oder gar die USA zur Nation geworden ist. Es wäre zu bezweifeln, wenn nicht völlig auszuschließen, daß die USA zum Beispiel sich in unserer Zeit erneut als Nation in der Lage wären zusammenzuschließen oder sollte ich besser sagen: zusammenzuschiessen?

Die radikale Verkürzung sämtlicher Transportwege, einschließlich des Transports von Informationen und Kapital (Humankapital inbegriffen) führte zum Kollaps der Begriffe Grenze und v.a. Territorium. Die Territorialpolitik (bisher immernoch der beste Beweis, daß wir auch nicht mehr, aber auch nicht weniger als Tiere sind) konnte durch die Beweglichkeit des Waren- und Ideenaustausches und mit der damit verbundenen Durchlässigkeit der Grenzen unter den Bedingungen der schon immer bestehenden ungleichen Verteilung der geistigen und materiellen Ressourcen so nicht mehr aufrechterhalten werden. Sie mußte sich verwandeln. Da aber kein Staat ohne Territorium zu machen ist, sind auch die Bedingungen für eine Staatenbildung wenn nicht unmöglich, so doch unendlich schwieriger geworden.

Das gehässige Wort von der "Wegelagerei", das zuweilen als Metapher angewandt und schnell als Polemik abgetan wird, läßt allzuleicht die große Wahrheit dahinter übersehen: dass es fast nur noch Wege gibt und keine Orte von einer Haltbarkeit, die so relevant sein könnte, dass diese Orte sich zu verteidigenden Territorien gestalten ließen... Geschäfte wie Politik lassen sich nur noch von dem machen, der in der Lage ist Kontrolle über Waren- und Informationsströme auszuüben.
Diese Tatsache zusammen mit der empirischen Beobachtung der atavistischen Grundzüge moderner Nationenbildung, die ihre Kraft, wie der Begriff bereits sagt, aus in der Vergangenheit erreichten Formen schöpfen und keinesfalls den heutigen Bedingungen verdanken, führt mich zur Feststellung, daß sich in Europa nicht einfach aufs neue eine gesamteuropäische Nation bilden kann - und wenn noch so viele davon träumen sollten, es ist verdammt als solches ein atavistischer Traum zu bleiben, wie die Realität um uns beweist.

Bei den Analysten internationaler Politik spricht man bereits von der "Weltinnenpolitik" (die Nato betreibt sie bereits), was insofern richtig ist, da die Bedeutung der internationalen Ausrichtung der bestehenden Staaten im Verhältnis zum bisherigen Mehrgewicht der Innenpolitik jedes einzelnen Staates rasant zunimmt. Auch der europäische Zusammenschluß steht unter diesem globalem Vorzeichen und ist nicht etwa auf das Ziel einer europäischen politischen Einheit ausgerichtet - diese ist nicht der eigentliche Antrieb der Entwicklung. Möglicherweise ist die politische Einheit der subjektive Antrieb einzelner politischer Individuen, aber nicht der wirklich relevante gesamtgesellschaftliche Antrieb! Aber wie jede operierende Idee von Gesellschaft nimmt sie vor ihrer Entstehung in jedem Einzelnen ihre einzigartige verlockende Gestalt an, um selbst über Irrtümer und Umwege zu ihrem Ergebnis zu kommen.

Das "Territorium" Europas, das nur noch in Anführungszeichen ein Territorium sein kann, wird niemals die Grundlage für eine Nation darstellen können, sondern nur noch eine präexistente Form einer Weltstaatengemeinschaft, die ihrer internationalen Verortung gemäß ihre globale Vernetzung verteidigt und im Laufe ihrer Weiterentwicklung auch immer wieder neu beansprucht und beanspruchen wird. Weder die Hegemonialpolitik der USA ist in der Lage dies abzuwenden, noch die etwas konfuse, größtenteils rückwärtsgewandte Politik der arabischen und islamischen Staaten. Terrorismus ist als Phänomen schon immer eine Sackgasse in der Entwicklung von Ländern gewesen - niemals ein Akt eines politischen Neubeginns. Meines Erachtens gehört der Terrorismus der Neuzeit zu den letzten Zuckungen überholter Gesellschaftssysteme, die freilich noch sehr lange anhalten können und erst dann aufhören werden, wenn notwendige Reformen im Inneren dieser Länder erfolgt sind.

Die Weltstaatlichkeit (nicht zu verwechseln mit der Naivität vom Begriff der "Weltregierung"!) und die damit verbundene Unmöglichkeit sich aus der Weltgeschichte und aus der internationalen Verantwortung zu entziehen und zwar für keinen vorhandenen Staat scheint mir eine unvermeidliche Entwicklung zu sein. So wird auch China nicht einfach als international handelnder Akteur die Rolle der USA übernehmen können, denn mit dem Wandel der Zeit ändert sich auch die Rolle selbst. Man könnte präziser werden und formulieren, die Akteure als Subjekte werden anhand der möglichen Rollen, den Handlungsmöglichkeiten erst geschaffen. Wenn die USA eines Tages keine globale Hegemonialmacht mehr sind, wird es, so meine Vermutung auch niemand anderes mehr sein können. Die Zeiten als ein Volk oder Staat eine Möglichkeit sich zu entwickeln ergriff und ihm andere Völker/Staaten in dieser Entwicklung folgten sind womöglich insofern für immer vorbei, als die Entwicklungsmöglichkeiten zwar noch alle vorhanden sind, aber für Völker und Staaten als Akteure nicht mehr greifen. So wird möglicherweise die Zukunft das politische Zeitalter der Institutionen einleiten, deren demokratische Legitimation keine oder eine eher untergeordnete Rolle spielen wird. Was mit der "Demokratie" sebst geschehen wird, das ist die wirklich spannende Frage, die uns nur die Zukunft beantworten kann...

(Der Begriff von „Weltstaatlichkeit“ wird auch in einem Artikel von Prof. Matthias Alberts in der Zeitschrift „Das Parlament“ verwendet, wie ich nachdrücklich festgestellt habe und beschreibt, die vor territorialen Schranken nicht halt machende, internationale Rechtsbildung, deren Souveränität sich jenseits der Nationen speist.)

Samstag, 14. Juli 2007

Ein schönes Wochenende!

Ein schönes Wochenende euch Allen allüberall auf dem Planeten. Liebt ihr Messen auf Latein, dann liebt ihr vielleicht auch Portwein und wo euer Verstand nicht reicht, da reicht vielleicht euer...

Aber vielleicht sollten wir alle nur das gute Wetter genießen und träumen wir lebten in einer Welt von Freunden, in der wir alle nur zu Gast sind und uns gegenseitig besuchen, um unsere Seelchen zu streicheln.

Eine schlechte Nachricht, eine alte Nachricht: dem ist nicht so! - für manche eine neue, aber das will nichts heißen. Ich grüße euch und wer weiß...

Ehre, wem Ehre gebürt!


Cui honorem, honorem! Was mir immer wieder die größte Sympathie abverlangt ist das Wirken von Peter Scholl-Latour. Er erinnert mich immer mehr an Thukydides den großen Realisten unter den altgriechischen Historikern. Peter Scholl-Latour ist in der Lage zwischen aktuellen Nachrichten und Meinungen, gewohnheitsmäßigen Erklärungen, geschichtlichen Fakten, geopolitischen Interessen, guten Absichten und tatsächlich vorhandenen Möglichkeiten des Handelns genau zu unterscheiden. Er hat seine Methode des Beobachtens politischer Konstellationen in ihrem soziopolitischen und historischen Kontext perfektioniert. In den letzten Jahren fiel mir auf, daß es Herrn Scholl-Latour immer schwerer fällt das oberflächliche Gerede seiner Gesprächspartner hinzunehmen. Er ist immer weniger bereit Plattitüden, Denkschablonen von Gutmenschen und sonstige grassierenden Naivitäten unseres Informationszeitalters, die lediglich den Mangel an Denken verbergen, im Raum unkommentiert als gleichwertige Äusserungen stehen zu lassen. Er hat als einer der wenigen den Mut um den richtigen Gedanken zu streiten und offen eine Gegnerschaft aufflammen zu lassen, die die meisten Redner irritiert, weil sie von einer festen Position spricht, zu der ein Geist ersteinmal die Kraft und Souverenität einer langen Vorbereitung und Übung des Denkens erworben haben muß. Die meisten seiner Diskussionspartner ahnen nicht einmal welche gravierenden Folgen es haben kann, wenn man lediglich mit guten Absichten bewaffnet in politische Auseinandersetzungen hineingeht, daß auch nur das bloße Ignorieren der Realität verhängnisvoll sein kann. Er sieht sich zunehmend von politischen Dilettanten umgeben und verliert immer öfter die Contenance und das zu Recht!
Ich vermute durch seine Beobachtung der unterschiedlichsten politischen Systeme weltweit sieht er sehr genau und mit Erschrecken wie sehr die Selbstbeweihräucherung, der Selbstbetrug der westlichen Demokratien und insbesondere derjenigen auf dem europäischen Kontinent (mit Ausnahme Frankreichs vielleicht) schon fortgeschritten ist und wie dilettantisch selbst das Führungspersonal unserer Staaten international agiert.

Montag, 2. Juli 2007

Mein Himmel über Berlin

Ich gestehe etwas verlegen: vom Morgenmuffel bin ich zum totalen Frühaufsteher mutiert. Was macht man, wenn man 5 Uhr morgens aufwacht und unmöglich wieder einschlafen kann? Ich fotografiere schon mal aus dem Fenster direkt nach oben...

Die "Unerträgliche Leichtigkeit des Seins" und "Die Unsterblichkeit" - so die Titel zweier meiner Lieblingsromane von Milan Kundera. Der erste spielt hauptsächlich in Prag, der andere in Paris. In beiden Städten wären diese Romane und ich meine natürlich ihre darin angesiedelte Handlung kaum noch möglich. Die Lebensbedingungen, die Menschen, die Verhältnisse, die Grenzen - diese Städte scheinen mir in den letzten Jahrzehnten eine allzu rasante Wandlung durchgemacht zu haben. Auf der Strecke blieb vielleicht die empfindliche Verbindung der Bürger mit der Vergangenheit, der angestammten Kultur ihrer Stadt. Eins der schlimmsten Beispiele für diesen Riss zwischen Gegenwart und Vergangenheit ist sicherlich Athen und hier lässt sich sicherlich nicht nur von einem "Riss" reden, es handelt sich vielmehr um eine fundamentale Zerrissenheit zwischen antiker, christlicher, europäischer, orientalischer, demokratischer und byzantinischer Tradition - um nur das wenigste zu nennen. Einer meiner griechischen Lieblingsschriftsteller Nikos Dimou (Ein Philosoph und Werbefachmann) wählte dafür einmal den Ausdruck: "Graecus Ultimus Confusus". In welcher Stadt könnte ein von Haus aus Zerrissener, ein Grieche sich wohlfühlen? - Ihr ahnt es schon: Berlin. Genauso ergeht es vielleicht auch den Charakteren der vorhin erwähnten Romane Kunderas. Sie brauchen die Gleichzeitigkeit von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, den Klebstoff, der ihre Wunden, ihre Lücken, ihre Fehler und Sehnsüchte, ihre Träume zusammenhält. Sie würden sich in Berlin wohler fühlen als in Prag oder Paris...